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    Neu im Heimkino: Ein albtraumhaftes Dystopie-Meisterwerk – das nicht nur "Andor" & "Loki" inspirierte
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Er findet Streaming zwar praktisch, eine echte Sammlung kann es für ihn aber nicht ersetzen: Was im eigenen Regal steht, ist sicher vor Internet-Blackouts, auslaufenden Lizenzverträgen und nachträglichen Schnitten.

    Dieser Thriller beeinflusste „Loki“ und machte „Citizen Kane“-Regisseur Orson Welles überglücklich. Trotzdem war „Der Prozess“ lange umstritten. Mittlerweile hat er sich Klassikerstatus erkämpft – und feiert jetzt sogar 4K-Premiere!

    Arthaus

    +++ Meinung +++

    Der Prozess“ mit „Psycho“-Star Anthony Perkins ist ein dystopischer und surrealistischer Justizthriller frei nach Franz Kafka, den Orson Welles als den besten Film seiner Karriere bezeichnet hat. Ja, richtig gelesen: Dieser kafkaeske Albtraum ist besser als „Citizen Kane“ – sagt der Regisseur von „Citizen Kane“! Allerdings war die Romanadaption lange Zeit hoch umstritten: Denn sowohl Verehrer*innen des hitzköpfigen Filmemachers als auch Liebhaber*innen der einflussreichen Vorlage taten sich zunächst mit der Kollision dieser Visionen schwer.

    Jedoch wird „Der Prozess“ zunehmend warmherziger aufgenommen und als atemberaubender, desorientierender Wahn gefeiert. Ob das herausragend gefilmte Justizgrauen tatsächlich besser als „Citizen Kane“ ist, könnt ihr nun sogar anhand eines direkten Vergleichs in Ultra-HD beurteilen: Diese Woche feiert „Der Prozess“ seine verdiente 4K-Premiere im Heimkino (während „Citizen Kane“ schon länger erhältlich ist). Außerdem gibt es den Film in der Remastered Edition neu auf DVD und Blu-ray.

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    „Der Prozess“ sieht nun im Heimkino nicht nur besser denn je aus, auf den Discs befinden sich darüber hinaus erhellende Begleitdokus und weiteres Bonusmaterial. Für Fans von Welles und/oder Kafka ist diese Heimkino-Veröffentlichung alleine schon deswegen ein Muss. Doch falls ihr eine Alternative sucht: „Der Prozess“ lässt sich auch über Prime Video* streamen – für Abonnent*innen von Arthaus+* sogar ganz ohne Zusatzkosten.

    "Der Prozess": Ein surrealistischer Albtraum, der zunehmend echter scheint

    Eines Morgens wird der Büroangestellte Josef K. (Anthony Perkins) wie aus heiterem Himmel verhaftet. Niemand kann ihm die Gründe dafür nennen, nicht einmal während seines aufreibenden Prozesses wird er darüber aufgeklärt, weshalb er vor Gericht steht. Und von seinem Anwalt kann Josef ganz offensichtlich keine nennenswerte Hilfe erwarten. Es ist, als sei Josef in einem surrealen Albtraum gefangen, aus dem es kein Erwachen gibt...

    Vielleicht muss meine Meinung einfach noch ein paar Jahre reifen, um die Vision des Meisterregisseurs vollauf zu begreifen. Aber zumindest Stand jetzt würde ich mich erdreisten und Orson Welles widersprechen: Dieser Film mit Romy Schneider in einer prominenten Nebenrolle ist nicht besser als sein seit rund einem Jahr endlich gestochen scharf erhältlicher Meilenstein „Citizen Kane“.

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    Aber: Nicht mit dem praktisch perfekt eingefädelten Medien-Polit-Drama mithalten zu können, ist keine Schande – zumal sich „Der Prozess“ wahrlich nicht vor dem berühmteren Welles-Film verstecken muss: Er lässt sich ebenfalls guten Gewissens als Meisterwerk bezeichnen! So bleiben mir die teils harschen zeitgenössischen Stimmen, die dem Film vorgeworfen haben, sich nicht nah genug an Kafkas strenger Erzählhaltung zu orientieren, ein Rätsel: Kafka in Reinform gibt es nur, wenn man Kafka liest.

    Sobald man Kafka ins Kino überträgt, verändert man ihn zwangsweise, und wenn ich das Glück habe, Welles als Regisseur einer Kafka-Vorlage zu erleben, dann will ich einen Film sehen, der sich wie Kafka anfühlt, gefiltert durch Welles' Regiesensibilitäten. „Der Prozess“ ist genau das: Kafkas pechschwarz-absurde Gesellschaftsperspektive trifft auf Welles' wuchtige Ästhetik! Der Regisseur nutzt erdrückende Schatten, den Orientierungssinn überlistende Schauplätze voller sonderbarer Größenverhältnisse und expressionistischer Winkel, um eine dichte Atmosphäre der Ausweglosigkeit zu erzeugen.

    Das ist weder purer Welles, noch authentisch Kafka, sondern ein sich ergänzender, anregender Kompromiss zweier Visionen. Kein Wunder, dass die unendlichen, trostlosen Schauplätze des Films seither viele weitere dystopische Werke inspirierten, etwa Terry Gilliams „Brazil“ und die Marvel-Serie „Loki“. Selbst einzelnen Passagen des „Star Wars“-Formats „Andor“, die sich um monotone Arbeiten in einem sinnlos-erdrückenden System drehen, erinnern an die Bildsprache des Klassikers!

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    „Der Prozess“ ist aber selbstredend nicht nur deshalb zeitlos, weil die bildsprachlichen Wellen, die er geschlagen hat, noch heute zu spüren sind. Oder weil Perkins' Performance das bedrückende Justiz-Verwirrspiel durch eine süffisant-schwarzhumorige Note bereichert. Sondern auch, weil Josefs beklemmende Odyssee partout nicht an Relevanz verliert – ganz gleich, wie man sie deutet:

    Die Bürokratie artet schließlich heute wie damals regelmäßig zu einem undurchdringlichen Labyrinth aus. Und das beklemmende Gefühl, verurteilt zu werden, ohne zu wissen, wofür überhaupt, wird in Zeiten sozialer Netzwerke und oberflächlicher Betrachtungen unserer Mitmenschen zunehmend alltäglicher. Es wird aber nicht erträglicher, und „Der Prozess“ ist ein fies-schönes Ventil für dieses Gefühl alternativloser Verwirrung.

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