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    Der unsichtbare Zoo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Der unsichtbare Zoo

    Ein Abspann voller Tiere

    Von Jochen Werner

    Im Abspann von Romuald Karmakars Dokumentarfilm „Der unsichtbare Zoo“ gibt es eine lange – nun ja – Besetzungsliste, in der sämtliche Tierarten, die in den vorausgehenden drei Stunden auf der Leinwand zu sehen waren, in der Reihenfolge ihres Auftretens im Film aufgelistet sind. Das ist einerseits ein bisschen lustig, wie hier die am Menschen und seinen diversen Funktionen im Teamwork der Filmproduktion ausgerichteten Gepflogenheiten der Kinocredits von allerlei Getier übernommen werden, und andererseits kündet es eben auch von einer großen Ernsthaftigkeit im Blick auf all die nichtmenschlichen Protagonisten, die diesen großartigen Film bevölkern und zu vielfältigem Leben erwecken.

    Diese Ernsthaftigkeit entspricht völlig derjenigen, mit der die Mitarbeiter*innen des Züricher Zoos, die wir im Verlauf der drei Kinostunden ebenfalls kennenlernen, ihren diversen Aufgaben nachgehen. Denn beim Züricher Zoo handelt es sich um einen Mustertierpark, der aufgrund seiner steten Bemühungen um möglichst artgerechte Haltung regelmäßig in Ranglisten der besten Zoos der Welt geführt wird. Und tatsächlich begegnen wir beim Blick hinter die Kulissen, den uns Karmakars ausführlichen Beobachtungen des Tagwerks im Zoo ermöglicht, zahlreichen Menschen, die mit Engagement und Professionalität ihrem Beruf nachgehen.

    Pantera Film GmbH
    Romuald Karmakar begegnet all seinen tierischen Protagonist*innen mit der größtmöglichen Würde und Neugierde.

    Sei es am Konferenztisch, wo das Für und Wider von medikamentösen Behandlungen zum Seuchenschutz ebenso debattiert werden wie Begegnungen zwischen verschiedenen Arten, die etwas Aufregung in das durch die Gefangenschaft eingeschränkte Leben der Tiere bringen sollen. Oder auch in der sehr praktischen Arbeit der Tierpfleger*innen, die bis hin zur Tötung, Zerlegung und Verfütterung eines einsamen Zebras geht – sehr ausführlich und explizit auf die Leinwand gebracht, denn auch das gehört zum Betrieb eines Zoos und zur Arbeit mit Wildtieren.

    Dass das Konzept des Zoos selbst längst umstritten ist und nicht nur ganz radikale Tierschützer*innen angesichts in Gehegen eingepferchter Tiere ein mulmiges Gefühl überkommen kann, weiß Romuald Karmakar natürlich, und auch wenn diese Debatte nicht im Zentrum von „Der unsichtbare Zoo“ steht, gibt er ihr durchaus Raum. Wir als Menschen würden am Ende immer nur das schützen und bewahren, was wir kennen und als Teil unserer Lebenswelt wahrnehmen, so heißt es einmal etwas desillusioniert, aber sicher nicht ganz falsch. Und somit komme den Zoologischen Gärten der Welt auch eine bedeutende Rolle im Artenschutz zu – indem sie dem der Natur entfremdeten Menschen den Reichtum einer längst flächendeckend aus den menschlichen Lebensräumen verdrängten und vom Aussterben bedrohten Tierwelt ganz konkret vor Augen führt.

    Das kann sonst nur Frederick Wiseman

    Das ist natürlich ein schlüssiger Gedanke, der sich nicht komplett von der Hand weisen lässt. Aber der Film weiß gleichwohl auch, dass die Arbeit am Tierwohl niemals perfekt gelingen kann und zahllosen Kompromissen, Sachzwängen und Härten unterworfen ist. In seiner komplexen Kartografie der Verhältnisse, Einschränkungen und Bedingungen der Arbeit mit den Tieren und ihrer Präsentation für die Besucher*innen ähnelt „Der unsichtbare Zoo“ den großen Institutionenfilmen eines Frederick Wiseman („Ex Libris“). Sieben Jahre ist es bereits her, dass mit „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ – dem bis dato jüngsten in einer ganzen Reihe von mal mehr, mal minder experimentellen Techno-Musikdokumentarfilmen – die letzte Regiearbeit von Romuald Karmakar zu sehen war, und es fällt keineswegs schwer, sich vorzustellen, dass weite Teile der seither vergangenen Zeit in die Recherche dieses über den Wechsel der Jahreszeiten gefilmten epischen Dokumentarfilms geflossen sind.

    Entstanden ist ein durchaus monumentales Projekt, das jeden Tag des Recherche- und Drehaufwands wert ist. Denn im Grunde ist „Der unsichtbare Zoo“ gleich mehrere Filme in einem. Zunächst mal ist es ein Film über Arbeitsprozesse: Gebannt sehen wir den menschlichen Protagonist*innen dabei zu, wie sie ihre jeweiligen Aufgaben im großen Ganzen des Tiergartens erledigen, ob im Konferenzraum oder im Tiergehege. Aus all diesen Einzelaufgaben setzt sich nach und nach ein Mosaik zusammen, das unser Verständnis der Funktionsweise, der Aufgabe und des Selbstbilds der Institution Zoo vertieft. Und dann, natürlich, ist das nicht zuletzt auch ein Tierfilm, in dem Regisseur Karmakar jede Spezies mit großer Würde und Neugier ins Bild setzt. Deshalb erscheint es dann am Ende auch nur ganz selbstverständlich und schlüssig, dass die nichtmenschlichen Protagonisten an prominenter Stelle im Abspann gelistet werden.

    Fazit: „Der unsichtbare Zoo“ ist ein faszinierender, epischer Langzeit-Dokumentarfilm, der ein komplexes Bild von der Institution Zoo und ihren Funktionsweisen im Detail wie im großen Ganzen vermittelt. Gebannt sehen wir drei Stunden lang den menschlichen wie tierischen Protagonisten auf der Leinwand zu.

    Wir haben „Der unsichtbare Zoo“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo der Film in der Sektion Forum gezeigt wurde.

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