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    Hundreds Of Beavers
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Hundreds Of Beavers

    Der Kultfilm des Jahres?!?

    Von Sidney Schering

    Ein Mann gegen die Wildnis: Hoher Schnee, frostige Temperaturen und überall listige, gefährliche Tiere – viele von ihnen mannshoch! Denn „Hundreds Of Beavers“ ist bevölkert mit menschlich proportionierten Plüschwesen, die wie die Ausschussware eines Kostümverleihs aussehen. Weitere Tiere treten als Häkelarbeiten, Filzpuppen oder Trickeffekte mit Basteloptik in Erscheinung. Aber damit (noch lange) nicht genug: Regisseur/Autor Mike Cheslik und Hauptdarsteller/Autor Ryland Brickson Cole Tews verneigen sich mit ihrer schwarz-weißen Groteske auch noch vor verschneiten Schwarz-Weiß-Abenteuern, Strategie-Videospielen, Stummfilm-Slapstick und den Kino-Cartoons der 1920er bis 1940er. Das Ergebnis ist ein bewundernswerter und die Geduld testender Hybrid aus Charlie Chaplins „Goldrausch“ und einer Kunststudium-Realfilmversion von Bugs Bunny.

    Die USA im 19. Jahrhundert: Jean Kayak (Ryland Brickson Cole Tews) stellt Apfelbrand her – und ist selbst sein bester Kunde, bis es zur Katastrophe kommt. Sein Hab und Gut geht in Flammen auf, nun muss er sich ohne Vorräte und Hilfsmittel dem eisigen Winter stellen. Mühselig rafft er sich Nahrung und Pelze zusammen, die er bei einem Ladenbesitzer (Doug Mancheski) gegen Ausrüstung tauscht. Doch nach und nach lernt Jean, sich als Trapper zurechtzufinden. Seine Fallen werden ausgeklügelter, seine Tricks gerissener, und die als Kürschnerin tätige Tochter (Olivia Graves) des Ladenbesitzers scheint ihm zugetan! Aber die örtliche Biberpopulation wehrt sich hartnäckig...

    Diese Biber muss man einfach lieben ...

    „Hundreds Of Beavers“ tritt dem Konventionellen auch abseits der niedlich-dämlichen Maskottchen mit Hingabe in den Allerwertesten: Der Cast übt sich zwar in Stummfilm-Mimik, und einige inszenatorische Kniffe zeugen von Liebe für die Frühzeit des Kinos. Jedoch ist das Geschehen nicht auf das enge 4:3-Bild beschränkt, das zur Blütezeit des Stummfilms üblich war. Und wirklich stumm ist „Hundreds Of Beavers“ auch nicht: Mal dienen Texttafeln der Kommunikation, andere Male erklingt Gebrabbel – und ab und zu ertönen konkrete Worte. Das Gesetz der Komik bestimmt die Formalitäten!

    SRH
    Wer ist Jäger, wer die Beute? Jean Kayak (Ryland Brickson Cole Tews) und zahlreiche Biber liefern sich einen skurrilen Schlagabtausch.

    Dass die kindlich-unschuldige Optik öfters mit Anzüglichkeiten durchbrochen wird, gehört indes zu den weniger überraschenden Einfällen. Mit der inneren Logik der Häkelstunde-, Bastelkurs- und Plüschkostüm-Tierwelt wird wiederum reihenweise erfinderisches Schindluder getrieben. Ins Geschehen gestreute Videospielreferenzen entwickeln sich gar vom Anachronismus zum Wink mit dem Zaunpfahl: Wie Jean aufrüstet und immer aufwändigere Fallen baut, folgt eins-zu-eins einer Strategiespiel-Gamer-Logik.

    Es ist eine gleichermaßen skurrile wie wonnige Freude, wenn somit das eingangs episodenhafte Geschehen als durchdachte Struktur aus ineinandergreifenden Teilen erkennbar wird. Einzelne Entwicklungen sind zwar vorhersehbar geraten, dafür entschädigt „Hundreds Of Beavers“ mit einer Vielzahl an spritzigen Stilübungen und genüsslichen Albernheiten – darunter das definitiv flauschigste Holmes-und-Watson-Duo der Realfilmgeschichte!

    Diese Biber muss man einfach hassen …

    „Hundreds Of Beavers“ ist nicht der erste Film dieser Art, den Tews und Cheslik auf die Welt loslassen: Schon 2018 ging ihre Schwarz-Weiß-Farce „Lake Michigan Monster“ auf Festival-Feldzug – jedoch mit einer Laufzeit von 78 Minuten, wohingegen das Biber-Kuriosum 108 Minuten verschlingt. Cheslik und Tews verdienen Respekt für den Schneid, ihr Publikum in einer geradezu dadaistischen Welt derart gefangen zu halten, wie Jean in seiner unwirschen Umgebung festsitzt.

    Allerdings hat das einen Preis: Auf jeden brillanten Gag, seien es schräge non sequiturs oder von langer Hand eingefädelte Pointen, kommen eben auch einige Rohrkrepierer verschiedenster Fasson: Das Überraschungsmoment der pubertären Intermezzi ist rasch verloren. Wiederkehrende Gags werden bis zur Erschöpfung in Grund und Boden gerammt, viele Slapstick-Einlagen und selbstironische Brüche drehen ermüdende Ehrenrunden.

    SRH
    Jean Kayak hat sich mit einer Verkleidung bei den Bibern eingeschlichen – wird jedoch schnell enttarnt.

    Bereits der Jean einführende Intro-Song ist drei ziellose Strophen lang! Das größte Ärgernis ist jedoch, dass die Verantwortlichen trotz erkennbarer Passion ein brüchiges Verständnis dafür aufweisen, weshalb Cartoons funktionieren: Ihr Cartoon-Tribut zündet vornehmlich, wenn die Pointe daraus besteht, dass Unmögliches wahr wird, weil es plausibel erscheint. Etwa, wenn ein kleiner Schneeball nach wenigen Metern zur haushohen Bowlingkugel-Lawine wird (und dennoch das Ziel verfehlt).

    Oftmals werden in „Hundreds Of Beavers“ allerdings einfach nur altbekannte Routinen stumpf kopiert, obwohl es hier am wichtigsten Element mangelt: An der charakterstarken Animation! Wenn der vom Pech verfolgte Choleriker Donald Duck in einem seiner Cartoons auf Nager losgeht, hat das trotz ähnlicher Abläufe eine ganz andere Komik, als wenn ein hagerer Kojote den Road Runner jagt. In „Hundreds Of Beavers“ hingegen bleibt aufgrund der klobigen, ausdruckslosen Kostüme massig Persönlichkeit außen vor. Diese bewusste Lücke ist gelegentlich abstrus-lustig, sehr oft aber eine dröhnende Leerstelle.

    Ach, ich weiß doch auch nicht

    „Hundreds Of Beavers“ ist ein „Lieb ihn oder hass ihn“-Film. Davon, wie schwer es ist, „Hundreds Of Beavers“ gleichgültig gegenüberzustehen, kann der Verfasser dieser Kritik ein Lied singen: Vorab wähnte er sich wie gemacht für diesen Film. Doch während der Sichtung sehnte er mehrmals das baldige Ende herbei. Aber wann immer er sich geschworen hat, „Hundreds Of Beavers“ streng zu benoten, kam eine fabelhafte, perfekt geschmierte Passage um die Ecke, die ihn in hohen Tönen schwärmen ließ.

    Am Ende blieb ratlose Hassliebe: In „Hundreds Of Beavers“ steckt ein makelloser 70-Minüter für die Ewigkeit, der zum 108-minütigen Monstrum gemästet wurde. Die logische Schlussfolgerung schien, den Mittelweg zu gehen und drei Sterne zu vergeben – bloß, dass diese unauffällige Note einem solch außergewöhnlichen Film wohl am allerwenigsten gerecht wird. Aber ist eine potentiell unsinnige Note nicht vielleicht genau die richtige Reaktion auf einen solchen Wahnsinn?

    Fazit: „Hundreds Of Beavers“ ist unvergesslich und trotzdem frustrierend: Ein einzigartiges Seherlebnis, randvoll mit passionierten Querverweisen. Ein Muss für alle, die auch nur einen Hauch von Liebe für die Anfänge des Kinos, Cartoon-Klassiker, Dadaismus oder Filme mit Do-It-Yourself-Charme haben. Aber auch ein Mahnmal dafür, wie erschöpfend Maßlosigkeit sein kann.

    Wir haben „Hundreds Of Beavers“ im Rahmen der Fantasy Filmfest White Nights 2024 gesehen.

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