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    Geliebte Köchin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Geliebte Köchin

    Ein kulinarischer Leinwand-Exzess

    Von Janick Nolting

    Bilder von leckeren Speisen können eine ungeheure Macht über den Körper erlangen. Sie lassen das Wasser in Mündern zusammenlaufen, Mägen knurren, können aber auch Ekel, Abscheu und Irritationen hervorrufen. Und vor allem taugen sie als Medium, um menschliches Miteinander begreifen zu lernen und höchste Lust zu wecken, wie der Regisseur Tran Anh Hung („Der Duft der grünen Papaya“) eindrucksvoll demonstriert: Hunger, explodierende Geschmacksknospen und das Bearbeiten von Kochzutaten erreichen in „Geliebte Köchin“, der beim Filmfestival in Cannes ausgezeichnet und als französischer Beitrag für den Oscar eingereicht wurde, regelrecht sexuelle Dimensionen.

    Der Film entführt in einen paradiesisch anmutenden Zustand – ein verlorener, trügerischer, wie sich später herausstellt: Durch die Fenster scheint goldenes Sonnenlicht, im Garten erntet man Gemüse, ein Pfau ruft aus der Ferne. Alltag auf einem prächtigen französischen Landgut im 19. Jahrhundert. Die Köchin Eugénie (Juliette Binoche) arbeitet hier seit mehreren Jahren. Gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten Dodin (Benoît Magimel), dem „Napoleon der Kochkunst“, beglückt sie selbst die anspruchsvollsten Genießer*innen mit schmackhaften Gerichten. Nur die Liebe, die zwischen Dodin und Eugénie in der Luft zu liegen scheint, steht auf unsicheren Füßen. Ist sie womöglich nur einseitiger Natur?

    Weltkino Filmverleih

    Dodin (Benoît Magimel) wird in den kulinarischen Zirkeln als „Napoleon der Kochkunst“ gefeiert.

    Tran Anh Hung hat einen Roman von Marcel Rouff in audiovisuell berauschende Eindrücke übersetzt. Über zwei Stunden nimmt er sich dafür Zeit, obwohl das Handlungsgerüst recht spärlich anmutet. Aber er braucht diesen Umfang: Kochen und Backen, das dauert, das ist Arbeit und Handwerk und Tran Anh Hung wirft geduldige Blicke auf diese Arbeitsprozesse. Gerade im ersten Akt von „Geliebte Köchin“ gebührt ihnen voll und ganz das Rampenlicht. Zwei Sphären warten dort darauf, im Genuss des Essens zu verschmelzen. Oben bereiten sich die Herren auf das Mahl vor und plaudern. Unten in der Küche wird geschnitten, gebrutzelt, gebacken, gewaschen, gewürzt – eine Köstlichkeit nach der anderen.

    Dass all die Speisen und ihre Fertigung eine solche Sensation entfalten, ist auch der Kameraarbeit von Jonathan Ricquebourg geschuldet. Ihre ausgeklügelten Bewegungen im Raum kreieren Spannungsfelder des Begehrens: zwischen Mensch und Lebensmittel, Publikum und Leinwand, zwischen den Anwesenden selbst, wenn es um das Aushandeln romantischer Gefühle geht.

    Essen als Kultur, Essen als Macht

    Wenn Figuren miteinander sprechen, vollzieht die Kamera zwischen ihnen dialogische Bewegungen. Dann die Anspannung: Mal fürchtet man, der Apparat würde den geübten Choreographien und Abläufen in der Küche im Wege stehen. Kochen erfordert ein eingespieltes Team! Mal gehen die Aufnahmen hautnah an die Zutaten, dampfende Gerichte oder an glitschige, beschmutzte Finger: Man sieht, wie Hände über rohes Fleisch reiben, wie sich Konsistenzen in Saucen vermengen. Erotische Konnotationen schneiden dabei etwa – reichlich plakativ, aber konsequent – von prallen Früchten zum nackten Hintern.

    „Geliebte Köchin“ ist in all dem kulinarischen Bombast erstaunlich sinnliches, erstaunlich körperliches Kino und mehr noch. Tran Anh Hung taucht mit seinem üppigen Exzess in eine ganze historische Kultur des Essens ein, die die Küche zum magisch schimmernden Ort verklärt, aber nie dessen Identität als mühsamen Arbeitsplatz verleugnen kann. Das Verzehren zelebriert man rituell: Jede sinnliche Erregung will man genießen. Düfte inhaliert man in einer Szene schwitzend unter weißen Tüchern. Aber wie sieht es hinter den Kulissen aus?

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    Ist die Liebe zwischen der Köchin Eugénie (Juliette Binoche) und ihrem Arbeitgeber womöglich nur einseitig?

    Unweigerlich muss so eine Speisekultur zu Fragen der Macht, Privilegien und Repräsentation gelangen. Das Kochen vereint in „Geliebte Köchin“ künstlerische Obsessionen, fleischliche Genüsse, aber auch protzenden Reichtum. Es folgt einer Überbietungslogik. Menüs werden wie lyrische Ergüsse vorgetragen. Ihr Verzehr kann sich über Stunden erstrecken. Die Arbeit dahinter verehrt man und doch verbannt man sie ins Unsichtbare. „Ich spreche mit ihnen durch das, was sie essen“, sagt Eugénie einem der feinen Herren auf Nachfrage, ob sie sich nicht nach oben zu ihnen gesellen möge. Am Essen und an den Gesprächen teilzunehmen, dafür hat die Köchin keine Zeit. Es ist nicht ihr vorgesehener Platz in diesem Mikrokosmos.

    Interessant wird es, wenn „Geliebte Köchin“ dieses Machtgefälle und seine unterschwellige Klassenfrage auf den Prüfstand stellt. In die gewohnten Routinen schleichen sich nämlich Störanfälligkeiten ein. Schon zu Beginn muss Eugénie innehalten. Ein Schwächeanfall. Krankheit oder Überarbeitung? Juliette Binoche verleiht ihrer Figur ein zaghaftes Lächeln, mit dem sie versucht, weiterhin am Alltag teilzunehmen. Doch der Körper will nicht mehr, was Pflicht und Leidenschaft verlangen. Also wird die Köchin zur Bekochten, ein Verhältnis wird verkehrt. Auch, um einander Zuneigung und Liebe auszudrücken, um zu verführen.

    Die Suche nach dem verlorenen Küchenparadies

    Nur: Fehlt der Reflexion dieses Verhältnisses final nicht ein wenig an Biss? Bekommt sie die Essenzen ihres politischen Subtextes wirklich zu fassen? Man verfolgt dieses Melodram lange mit großer Neugier, weil es seine Konflikte so unscheinbar anbahnt. Irgendwann zeigt „Geliebte Köchin“ eine entleerte Kunst und enttäuschte Gefühle. Etwas fehlt, ein wesentliches Puzzleteil ist aus dem Bild gefallen. Ein Gefüge strauchelt.

    Hoffnungslos romantisch ist das gerahmt, aber verharrt genau diese Romanze nicht etwas zu bequem in der Perspektive des Naiven? Fast scheint es so, als würde sich der Film scheuen, seine angelegte Kritik an Hierarchie und Ordnung des Schauplatzes sowie dessen entkoppeltem Verhältnis zur Welt konkreter auszusprechen. Die Küche vom Beginn wird zum Schluss so oder so eine andere sein. Sie wird zum Echoraum gespenstisch sprechender Erinnerungen inmitten all des abgenutzten Mobiliars.

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    Mit Eugénies Erkrankung scheinen sich die Klassenverhältnisse auf den Kopf zu stellen – plötzlich bekocht der Chef seine Köchin.

    Schlussendlich verdrängt die Selbstverliebtheit dieses märchenhaften Raums zu viel, um dominierende Machtverhältnisse mit klaren Gedanken anprangern zu können. Er sucht allein nach beschönigten Ursprüngen in diesem Küchenparadies, nach Muse, den Genüssen und Wurzeln einer Liebe. Etwas anderes scheint den Figuren kaum möglich zu sein. Von den dunkleren, verborgenen Winkeln wollen sie und der Film selbst offenbar weniger wissen, als es ihnen guttut. Vielleicht hätte ihnen der Appetit früher vergehen sollen.

    Fazit: Tran Anh Hung hat einen ungemein verführerischen, bildgewaltigen Film über die Kunst und Kultur des Kochen inszeniert. Wenn es um das Herausarbeiten seiner kritischen Untertöne geht, schwelgt „Geliebte Köchin“ allerdings lieber im romantischen Schmachten, anstatt seine Blicke zu schärfen.

     

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