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    Beyond The Infinite Two Minutes
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Beyond The Infinite Two Minutes

    Neuer Sci-Fi-Kult ohne Schnitte, aber mit ganz viel Spaß!

    Von Björn Becher

    Für gerade einmal 27.000 Dollar gedreht, entwickelte sich die unfassbar clevere und ebenso saulustige Zombie-Komödie „One Cut Of The Dead“ (der Titel spielt darauf an, dass der Film lange Zeit ohne einen einzigen Schnitt auskommt) 2018 auf Anhieb zum Kultphänomen. Der Produzent hatte auf 5.000 verkaufte Kinotickets gehofft – aber am Ende strömten allein in Japan mehr als zwei Millionen Menschen in die Kinos. Nun gibt es mit dem ebenfalls aus Japan stammenden „Beyond The Infinite Two Minutes“ einen potenziellen und vor allem ebenso fantastisch-unterhaltsamen Nachfolger.

    Regisseur Junta Yamaguchi und Drehbuchautor Makoto Ueda nehmen darin das Sci-Fi-Genre auf ebenso intelligente wie kreative Weise aufs Korn. Dabei setzen sie zwar nicht wie „One Cut Of The Dead“ auf einen großen zentralen Twist, aber ansonsten sind die Zutaten ähnlich. Der ganze Film wirkt nach einem kurzen Prolog wie eine einzige Plansequenz ohne jeden sichtbaren Schnitt (selbst wenn ähnlich wie bei „1917“ ein klein wenig getrickst wurde). Da kommt man ob der superpräzisen Planung und Ausführung aus der dem Bewundern gar nicht mehr raus. Doch „Beyond The Infinite Two Minutes“ hat noch viel mehr zu bieten als das In-einer-Einstellung-Gimmick...

    Ein Monitor als Fenster in die Zukunft.

    Eigentlich will Café-Eigentümer Kato (Kazunari Tosa) Feierabend machen. Aber in seiner über dem Geschäft gelegenen Wohnung sieht er sich plötzlich selbst auf dem Computer-Bildschirm – und zwar unten im Café vor dem TV. Der vermeintliche Doppelgänger erklärt, aus der Zukunft zu stammen – und zwar exakt zwei Minuten aus der Zukunft! Die beiden Monitore sind verbunden: Oben in der Wohnung ist also zu sehen, was in zwei Minuten unten im Café passieren wird – und unten im Café ist zu sehen, was vor zwei Minuten oben in der Wohnung passiert ist.

    Also eilt Kato nach unten, um als sein eigenes Zukunfts-Ich die andere Seite der eben abgelaufenen Unterhaltung zu führen. Seine ihn dabei beobachtende Kollegin (Riko Fujitani) schnallt schnell, was Sache ist – und ruft ihre Freunde herbei, die angesichts dieses Future TVs völlig aus dem Häuschen sind. Doch Kato selbst wird es langsam zu viel. Er wollte doch eigentlich nur ein wenig Gitarre spielen und vielleicht endlich Nachbarin Megumi (Aki Asakura) zu einem Date einladen…

    Ein eingespieltes Ensemble

    Bereits als Teenager gründete Autor Makoto Ueda das Ensemble Europe Kikaku, das seit 1998 in Kyoto eine immer größer werdende Fangemeinde nicht nur mit ihrer kleinen Theaterbühne anlockt, sondern nebenher auch mit verschiedenen anderen Formaten – von der Radiosendung bis zur Handy-App – experimentiert. Zudem schrieb er nebenher Drehbücher für Kinofilme wie „Penguin Highway“ oder „Night Is Short, Walk On Girl“. Schon lange trug er dabei die Idee für eine kleine Sci-Fi-Geschichte mit sich herum, die er aber auf keinen Fall in fremde Hände geben wollte – weil er sich auch einfach nicht vorstellen konnte, dass ein anderes Ensemble als sein eigenes die Prämisse nach seinen Vorstellungen umsetzen könnte. Also wurde aus „Beyond The Infinite Two Minutes“ ein Do-It-Yourself-Projekt.

    Regisseur und Kameramann Junta Yamaguchi ist etwa bereits seit 2005 Teil von Europe Kikaku – und auch die Gesichter vor der Kamera sind schon viele Jahre dabei. Die einzige Ausnahme ist die in Japan einem größeren Publikum bekannte Schauspielerin und Sprecherin Aki Asakura, die von außen hinzugeholt wurde, weil schließlich auch ihre Figur eine Außenseiterin in der Gruppe ist. Dieser Ansatz zahlt sich aus: Die Dynamik innerhalb der Clique und der daraus resultierende Humor ist eine von vielen Stärken der so schrägen wie einfallsreichen Sci-Fi-Komödie. Dass der Bühnenhintergrund des Gros des Casts sich auch in Overacting niederschlägt, ist keine Schwäche - im Gegenteil: Das ungemein expressive Spiel der Figuren passt zum Szenario.

    Ein FutureTV? Die Clique ist völlig aus dem Häuschen!

    Ueda griff aber auch deshalb auf sein bewährtes Ensemble zurück, weil dieses es von der Theaterbühne gewohnt ist, ein Stück von Anfang bis Ende ohne Pausen in einem Rutsch durchzuspielen – und das müssen sie hier auch über weite Strecken, schließlich gibt es nur einige wenige (und dazu sehr gut versteckte) Schnitte. Der Dreh erfolgte zudem auch noch unter extrem erschwerten Bedingungen, weil die Handlung nicht wie bei anderen One-Shot-Filmen wie „1917“ oder „Victoria“ streng linear verläuft. „Beyond The Infinite Two Minutes“ ist schließlich eine Art Zeitreisefilm, in dem die Schauspieler*innen immer wieder auch mit ihrem eigenen Zukunfts/Vergangenheits-Ich interagieren müssen.

    Dass es ganz und gar nicht redundant wirkt, demselben Gespräch zwei Minuten später noch mal aus einer anderen Perspektive beizuwohnen, sagt schon viel darüber aus, wie herausragend diese Sci-Fi-Perle ist. Ueda und Yamaguchi finden immer neue Kniffe, um selbst die anfangs eher auf Geplänkel und Spielereien fokussierten Gespräche interessant zu gestalten. Da gibt es immer wieder überraschende kleine Twists, die plötzlich dafür sorgen, dass die Worte beim zweiten Hören eine ganz andere Bedeutung haben, als wir ihnen zuerst zugemessen haben. Und sie werfen sogar komplexe Fragen auf: Schließlich sehen sich Kato und Co. schnell gezwungen, immer genau das Wirklichkeit werden zu lassen, was ihnen ihr Blick zwei Minuten in die Zukunft offenbart hat. Denn wer weiß, was Schlimmes passieren könnte, wenn man einen Widerspruch zur Zukunft, ein Paradox, erschafft. Doch wie sehr hat mit dieser Fessel das Wissen um die Zukunft dann überhaupt noch einen Mehrwert? Ist es nicht eher ein Fluch?

    Bis ins Unendliche weitergetrieben

    Vor allem die ersten zwanzig Minuten dürfte aber erst einmal das pure Staunen über die Inszenierung dominieren. Wenn die Clique immer wieder die Treppe hoch und runter rennt, um zwischen den beiden TV-Geräten zu wechseln, kann man nur bewundern, wie perfekt das alles auf die zwei Minuten getaktet, so fehlerlos über die Bühne gebracht und eingefangen wurde – übrigens mit iPhones. So ist dann auch der Abspann des Films noch einmal ein eigenes (skurriles) Highlight, denn der besteht aus Aufnahmen vom Dreh und zeigt, wie Regisseur Yamaguchi und sein kleines Team sich in den engen Sets immer in die unmöglichsten (und teilweise lustigen) Positionen um den Cast bewegen müssen.

    Und gerade, wenn die anfängliche Begeisterung über die Inszenierung selbst ganz leicht abklingt, wird das Spektakel noch weitergedreht: Jemand hat die Idee, die beiden TV-Geräte im selben Raum aufzustellen, um so den im japanischen Originaltitel „Droste No Hate De Bokura“ erwähnten sogenannten Droste-Effekt (also ein Bild-im-Bild-Unendlichkeits-Loop wie in einem Raum mit gegenüberliegenden Spiegeln) zu erzeugen. Was nun folgt, ist eine aberwitzige Achterbahnfahrt mit Geschehnissen, die vier, acht und mehr Minuten in der Zukunft liegen.

    Mit Bild-im-Bild-im-Bild soll unendlich in die Zukunft geschaut werden.

    Den ganz großen Twist wie bei „One Cut Of The Dead“ gibt es dabei zwar nicht, aber trotzdem kommt die eigentliche Handlung so erst richtig in Schwung. Über diese wollen wir hier nicht allzu viel verraten, denn während am Anfang noch die schnelle Wiederholung den Reiz ausmacht, wechselt die Erzählung nun zu einer mitreißenden, immer wieder überraschenden und oft auch absurden Reihe von Ereignissen aus verschiedensten Zeiten, die sich erst nach und nach zusammensetzen und über die man vorher möglichst nicht zu viel wissen sollte...

    Fazit: Herausragend! „Beyond The Infinite Two Minutes“ ist sein Status als neuer Sci-Fi-Kultfilm schon jetzt kaum noch zu nehmen! Mehr Spaß kann man in 70 Minuten kaum haben.

    Wir haben „Beyond The Infinite Two Minutes“ im Rahmen des Fantasia International Film Festival Montreal gesehen. Deutschlandpremiere feiert die außergewöhnliche One-Shot-Sci-Fi-Komödie auf dem Fantasy Filmfestival 2021 im September 2021.

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