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    One For The Road
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    One For The Road

    Warum sollte eine Warnung vor Alkoholismus nicht auch gut unterhalten?

    Von Christoph Petersen

    Es entbehrt sicherlich nicht einer gewissen Ironie: Regisseur Markus Goller hat sich in den vergangenen Jahren als DER Experte für deutsche Roadmovies etabliert – mit dem Auto in „Frau Ella“, mit dem Motorroller in „Simpel“ und „25 km/h“, der sich nicht nur zum Besucher*innen-Millionär aufschwang, sondern seinen Hauptdarstellern Lars Eidinger und Bjarne Mädel auch noch den Ernst Lubitsch Preis für die beste komödiantische Leistung in einem deutschsprachigen Kinofilm einbrachte. Aber ausgerechnet in „One For The Road“, der die Straße sogar im Titel trägt, muss der Protagonist seinen Wagen nun stehenlassen – schließlich ist der Führerschein schon in der ersten Szene futsch, Alkohol am Steuer.

    Dabei wollte Bauleiter Mark (grandios-authentisch: Frederick Lau) sein Auto tatsächlich nur kurz etwas gerader in die Parklücke setzen, als er – zu Fuß – von der Kneipe nach Hause kommt. Und das gelingt ihm, Promille hin oder her, auch schneller und präziser, als es die allermeist nüchternen Autofahrer*innen hinbekommen hätten. Ein paar anständige Anditscher beim Zurücksetzen – und schon hätte man eine klassische Komödien-Szene gehabt. Aber das Skript von Oliver Ziegenbalg („Roads“) macht es einem längst nicht so leicht, Mark in die vorgefertigte Schublade des Klischee-Säufers zu stecken – und gerade das ist die zentrale Stärke des Films.

    Mark (Frederick Lau) schießt sich praktisch jeden Abend komplett ab – und funktioniert trotzdem als total korrekter Typ, egal ob bei der Arbeit oder im Kreise seiner Freund*innen.

    Zwischen all den „echten Alkis“ im Vorbereitungskurs für die Begutachtung der Fahreignung fühlt sich Mark dementsprechend auch total fehl am Platze. Bei einem Umtrunk im Bekanntenkreis macht er sich sogar noch über einen Test des Gesundheitsministeriums lustig, bei dem alle Anwesenden gleichermaßen mies abschneiden. Und trotzdem lässt Mark sich nach einem kleinen Missgeschick, bei dem er einen geerbten Sessel mit der Toilette verwechselt, schließlich doch auf eine Wette mit seinem besten Kumpel Nadim (großartig: Burak Yigit) ein:

    Bis er seinen Führerschein wiederbekommt, will Mark keinen Tropfen Alkohol mehr anrühren – und wenn er doch schwach wird, muss er die Waldhütte seines Freundes komplett allein renovieren. Wenn er aber durchhält, muss Nadim einmal mit der Ringbahn komplett um Berlin fahren – und zwar splitterfasernackt. Die Lehrerin Helena (Nora Tschirner), eine Mitteilnehmerin aus dem MPU-Vorbereitungskurs, sagt zwar direkt voraus, dass er es maximal einen Monat lang durchhalten wird – aber nach den ersten zwei, drei Tagen fühlt sich Mark bereits verdammt stark und stolz! Zumindest bis ihm das alkoholfreie Leben plötzlich doch nur noch grau und trist erscheint…

    Ein sowas von funktionaler Alkoholiker

    Wenn Marc auf der Baustelle bei einem Kabelschacht-Problem zwischen seinen frustrierten Arbeitern und seiner genervten Architektin-Chefin Luisa (Nina Kunzendorf) vermittelt, trifft er für alle Seiten genau den richtigen Ton – und auch wenn er allabendlich in der Kneipe voll aufdreht, ist er nicht irgendwie aggro drauf, sondern einfach ein rundherum cooler Typ, mit dem man gerne abhängt. Man versteht sofort, warum Mark glaubt, er habe kein Problem – und warum sein superspießiger Anzug-Nachbar ihm irgendwann auf dem Hausflur gesteht, dass er gern mehr so wäre wie er. Dass die Tiefkühlpizza die ganze Nacht lang im Ofen verkohlt, kann schließlich jedem mal passieren.

    Markus Goller und Drehbuchautor Oliver Ziegenbalg verzichten auf die ganz harte Säufer*innen-Misere, wie man sie aus (zu) vielen Alkoholismus-Dramen kennt – und das macht „One For The Road“ nicht etwa weniger wirkungsvoll. Ganz im Gegenteil: Man fiebert mit Mark viel mehr mit – gerade weil sich wohl die allermeisten zumindest in gewissen Punkten in seiner Geschichte wiederfinden werden. Der trockene Humor, etwa wenn der entziehende Mark zwei kleinen Jungen im Freibad erklärt, dass sie sich bloß von niemandem einreden lassen sollen, dass ein gesundes Leben etwas Erstrebenswertes wäre, verleiht dem Film zwar eine gewisse Leichtigkeit – und trotzdem tun Regisseur und Autor gut daran, viele der naheliegenden (Alki-)Pointen bewusst zu unterlaufen.

    Mark bringt seiner MPU-Vorbereitungskurs-Bekanntschaft Helena (Nora Tschirner) das Fahrradfahren bei.

    So wirken einige Teilnehmer*innen des MPU-Vorbereitungskurses im ersten Moment zwar sehr wohl wie ein Kabinett von Säufer*innen-Klischees – aber die Gags auf ihre Kosten bleiben weitestgehend aus, stattdessen wird ihre Menschlichkeit betont. So etwa im Fall der aufgetakelten Sekt-Seniorin Frauke (Eva Weißenborn), die bis zum Ende darauf besteht, doch nur ein Gläschen getrunken zu haben – und dann in einer bitter-berührenden Szene von der „Witzfigur“ zum fühlenden Menschen wird.

    Nora Tschirner („Wunderschön“) punktet unterdessen mit ihren gewohnt-trockenen Kommentaren – selbst wenn sie weit weniger überzeugend „betrunken“ spielt als ihr Co-Star. Dafür hat sie allerdings einen besonders erschütternden Moment, wenn sie Mark vom Auffliegen ihrer Alkoholsucht erzählt – und natürlich wünscht man den beiden aus ganzem Herzen, dass sie es gemeinsam einfach nur durch gegenseitige Unterstützung hinkriegen, ihre Sucht hinter sich zu lassen. Aber selbst wenn man so wahrscheinlich glücklich und zufrieden aus dem Kino gekommen wäre, lässt sich „One For The Road“ auf einen solchen romantisierenden Bullshit zum Glück nicht ein.

    Fazit: Die späte deutsche Antwort auf Billy Wilders „Das verlorene Wochenende“. Es ist einfach eine Freude, mit Frederick Lau Zeit zu verbringen – da kann man seine mittrinkenden, lange nicht intervenierenden Freund*innen gut verstehen. Aber gerade deshalb tut es dann auch so weh, wenn Mark schließlich doch den Halt verliert – und dann auch das feste Daumendrücken lange nicht hilft, weil „One For The Road“ erfreulicherweise auf allzu einfache Antworten auf das Alkoholproblem seines Protagonisten verzichtet.

    PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten „Vorurteil vom lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Sophia, der Tod und ich“ ist unsere Wahl für den September 2023.

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