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    White Bird
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    White Bird

    Ein Spin-off von "Wunder" – und doch ein ganz anderer Film

    Von Jörg Brandes

    Während der Naziherrschaft gab es immer wieder Fälle, in denen hilfsbereite Menschen verfolgte Jüdinnen und Juden versteckten. Das war auch schon häufiger Filmthema. Roman Polanski etwa drehte mit seinem oscarprämierten Drama „Der Pianist“ ein Drama über das Schicksal des polnischen Musikers Wladyslaw Szpilman, der dem Warschauer Ghetto entkommt und schließlich von einem Offizier der deutschen Wehrmacht in seinem Versteck versorgt wird. In „Unter Bauern – Retter in der Nacht“ wird die Geschichte der Familie von Marga Spiegel (Veronica Ferres) aufgerollt, die auf zwei Höfen im Münsterland unterkommt.

    Der bekannteste Fall ist sicher der einer Flüchtlingsgemeinschaft, die sich lange in einem Hinterhaus in der Amsterdamer Prinsengracht verborgen halten konnte. Schon mehrfach wurde „Das Tagebuch der Anne Frank“ verfilmt, in Deutschland zuletzt von Hans Steinbichler 2016. All diesen Werken ist gemeinsam, dass sie auf Tatsachen basieren. „White Bird“ steht hingegen nicht in dieser „Nach einer wahren Begebenheit“-Tradition. Wie Taika Waititis „Jojo Rabbit“, in dem ein Hitlerjunge entdeckt, dass seine Mutter ein jüdisches Mädchen auf dem Dachboden versteckt, entstand der Film nach einer Buchvorlage mit fiktionaler Story.

    Ein überraschendes Spin-off

    In diesem Fall handelt es sich um eine Graphic Novel von Raquel J. Palacio, deren Bestseller-Roman „Wunder“ um einen Gesichts-deformierten Fünftklässler namens Auggie mit Julia Roberts und Owen Wilson 2017 ebenfalls verfilmt (und zum großen Hit) wurde. Von „Wunder“ führt tatsächlich auch ein direkter Pfad zu „White Bird“: Das Verbindungsglied ist der erneut von Bryce Gheisar gespielte Julian Albans, der einst von der Schule geflogen ist, weil er Auggie übel gemobbt hatte.

    Noch hat sich Julian nicht an seiner neuen Schule eingelebt, da kommt überraschend seine Oma Sara (Helen Mirren) aus Paris zu Besuch. Zu ihren Ehren als Künstlerin wird in New York eine Retrospektive gezeigt. Um ihrem Enkel eine Lehre fürs Leben zu erteilen, berichtet sie ihm, wie sie einst in Frankreich dank des Mutes eines Klassenkameraden und seiner Eltern dem Holocaust entging. Eine durchaus erzählenswerte Geschichte über die Kraft der Menschlichkeit in finsterer Zeit, die Regisseur Marc Forster („World War Z“) jedoch etwas zu rührselig und didaktisch inszeniert hat.

    LEONINE
    Oma Sara (Helen Mirren) erteilt ihrem Enkel eine wichtige Lektion fürs Leben.

    Anfang der 1940er Jahre wächst Sara (Ariella Glaser) mit ihren Eltern Rose (Olivia Ross) und Max (Ishai Golan) glücklich und behütet in Aubervilliers-aux-Bois im noch nicht von den Deutschen besetzten Teil Frankreichs auf. Doch das bleibt nicht so. Der Druck auf die jüdische Gemeinschaft steigt auch schon unter der willfährigen Vichy-Regierung, bevor sich die Nazis schließlich im ganzen Land breitmachen. Im Herbst 1942 beginnen die Deportationen. Lehrerin Mile Petitjean (Patsy Ferran) versucht mit Unterstützung von Pastor Luc (Stuart McQuarrie), ihre jüdischen Schutzbefohlenen vor dem Zugriff der Nazis zu retten und im Wald zu verstecken. Doch ausgerechnet der von Sara angeschwärmte Vincent (Jem Matthews) verrät die Flüchtigen.

    Nur dank der Hilfe ihres Klassenkameraden Julien Beaumier (Orlando Schwerdt), den die meisten wegen seiner poliobedingten Gehbehinderung nur „Tourteau“ (Krabbe) nennen, entgeht das Mädchen der Gefangennahme. Weil Juliens Eltern Vivienne (Gillian Anderson) und Jean Paul (Jo Stone-Fewings) ihre Nachbarn für Nazi-Sympathisanten halten, wird die 15-Jährige vorsichtshalber in der Scheune untergebracht. Bald entsteht zwischen den beiden Teenagern eine tiefe Freundschaft, die Scheune wird dank der Fantasie von Sara und Julien zu einem magischen Zufluchtsort – bevor die Angst vor Entdeckung wieder präsenter wird…

    Zebras als Zuflucht

    Mit der Kraft der Fantasie kennt sich Mark Forster ja bestens aus. Die ließ er etwa schon kräftig walten in „Wenn Träume fliegen lernen“, seinem Biopic über „Peter Pan“-Schöpfer James Matthew Barrie, oder auch in seiner Fantasy-Dramödie „Christopher Robin“ um den gleichnamigen erwachsen gewordenen Jungen, der seinen Vater A. A. Milne einst zu dem Kinderbuch „Pu der Bär“ inspirierte. Auch die beiden Hauptfiguren in „White Bird“ imaginieren sich so einiges zusammen. Wenn sich die beiden nach Afrika träumen, hoppeln auch mal virtuelle Zebras durch die Scheune. Derartige Fantasy-Elemente sind visuell jedoch nicht so überzeugend geraten wie in den anderen genannten Werken.

    Aber gut: Das mag bei einem Drama, das vor dem Hintergrund des Holocaust spielt, nicht das Wichtigste sein. Der Regisseur lässt jedenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, wie menschenverachtend die Ideologie der Nazis ist und wie ansteckend sie sein kann. Letzteres wird gerade am Beispiel des fanatischen Nachwuchsfaschisten Vincent deutlich. Aber der Macht des Bösen setzt der Film wirkungsvoll die Macht mutig-tatkräftiger Menschlichkeit entgegen. Das gilt für Julien und seine Eltern ebenso wie für die Lehrerin und den Pater.

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    Sara (Ariella Glaser) und Julien (Orlando Schwerdt) flüchten sich in ihrer Scheune regelmäßig in eine Fantasiewelt.

    Auch Ariella Glaser und Orlando Schwerdt machen ihre Sache gut. Das sympathische Duo nimmt sein Publikum leicht für die beiden zentralen Figuren ein. Daneben kann „White Bird“ wie zuvor schon „Wunder“ ebenfalls mit zwei zugkräftigen Namen aufwarten. Allerdings haben „Die Queen“ Helen Mirren und „Akte X“-Star Gillian Anderson nicht allzu viel Leinwandzeit. Aber zumindest lässt sich sagen, dass Mirren ihre Rolle in der Rahmenhandlung souverän ausfüllt und Gillian im vielleicht dramatischsten Teil des Films ein nachhaltigerer Auftritt beschieden ist.

    Allerdings hat der Film auch unübersehbare Schwächen. Das liegt vor allem am Hang zum Überdeutlichen, den Forster hier an den Tag legt. Dass Julians Name von Saras französischem Helfer und Gefährten Julien inspiriert wurde, liegt offen auf der Hand. Es wird aber auch sicherheitshalber noch einmal extra erwähnt. Das ist allerdings längst nicht so ärgerlich wie die Überstrapazierung des titelgebenden Vogels als Symbol der Freiheit. Der wird hier so oft ins Bild gesetzt, dass man es schon als Kitsch bezeichnen kann. Auch was die Gefühligkeit und die Botschaft des Films („Vive l’humanité – Es lebe die Menschlichkeit“) angeht, tut Forster eher zu viel als zu wenig. Und dann ist da auch noch die so seltsame wie unpassende Sache mit einem Rudel Wölfe, das plötzlich wie Kai aus der Kiste auftaucht und ... Aber die fand sich fast exakt so auch schon in der literarischen Vorlage.

    Fazit: Der Schauspielnachwuchs überzeugt, die vor dem Hintergrund des Holocaust spielende Story gibt einiges her. Schade nur, dass Marc Forster seinem Publikum so wenig zuzutrauen scheint und deshalb alles überdeutlich doppelt unterstreicht.

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