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    The Woman Who Ran
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Woman Who Ran

    Zwischen den Worten

    Von Christoph Petersen

    Wer sich in das Werk des südkoreanischen Auteurs Hong Sang-soo (Full Disclosure: mein persönlicher Lieblingsregisseur) einfinden will, der sollte direkt zum Einstieg möglichst vier oder fünf seiner Filme am Stück schauen. Mehr noch als bei anderen Regisseuren wirkt sein Schaffen als Gesamtwerk noch stärker als die einzelnen (fast immer sehr guten bis meisterhaften) Filme für sich allein. Neben ständigen Soju-Gelagen, denen die Schauspieler (und ihr Regisseur) an den Sets tatsächlich frönen, zählen zu seinen unverkennbaren Markenzeichen auch noch die ständigen Zooms, die Spiegelungen, Variationen und Wiederholungen – das Wiedererkennen, auch über verschiedene Filme hinweg, ist einer der zentralen Wege, in seinem Werk Erkenntnis zu gewinnen.

    So auch in „The Woman Who Ran“, in dem wohl erstmals in einem Hang-Sang-soo-Film kein Soju und sowieso erstaunlich wenig Alkohol getrunken wird. Ansonsten ist aber trotzdem vieles beim Alten geblieben. Gamhee, gespielt von Sang-soos Lebensgefährtin und Silberner-Bär-Gewinnerin Min-hee Kim („On The Beach At Night Alone“), nutzt eine Geschäftsreise ihres Mannes, um nacheinander drei alte Freundinnen wiederzutreffen (= Wiederholung). Die Gespräche kreisen dabei jedes Mal um ähnliche Themen, aber es gibt trotzdem immer – manchmal auch nur ganz leichte – Verschiebungen (= Variationen).

    Gespräch mit alter Freundin Nr. 2 ...

    Beim dritten Treffen erzählt die Kinobetreiberin Woo-jin (Sae-Byuk Kim) von ihrem Mann, einem berühmten Autor, der bei seinen TV-Auftritten – wie auswendig gelernt – immer wieder dasselbe sage. Deshalb könne sie sich auch gar nicht mehr sicher sein, was er nun ernst meint und was nicht. Einen Moment später schält sie einen Apfel für ihren Gast – mit der Bemerkung, dass sie das nicht gut könne. Eine alltägliche Aussage – aber eine knappe Dreiviertelstunde zuvor haben wir dieselbe Situation mit demselben Satz auch schon bei Gamhees erster Gastgeberin Young-soon (Young-hwa Seo, „Memories Of Murder“) erlebt.

    Sind also nicht viele Floskeln ohnehin nur wie auswendig gelernt dahingesagt? Schließlich erzählt auch Gamhee selbst – mit minimalen Variationen – davon, dass dies nun das erste Mal seit der Heirat vor fünf Jahren ist, dass sie mehr als einen Tag lang von ihrem Ehemann getrennt sei. Nur eine von vielen erhellenden Parallelen (und sicherlich nicht die subtilste), die sich im Film ziehen lassen. Nicht aufgelöst wird hingegen die Titelfrage: Ob Gamhee selbst die (Weg-)Renn-Frau sein soll, wird bis zum Schluss nicht ausgesprochen. Aber es ist sowieso das Unausgesprochene zwischen den Worten, was in „The Woman Who Ran“ das Eigentliche abbildet.

    Die coolste Katze ever!

    So auch in der tollsten, zugleich ungemütlichsten und lustigsten Szene des Films. Ein Nachbar klingelt an der Tür und bittet die Bewohnerinnen, doch bitte die streunenden Katzen nicht mehr zu füttern, weil sie sonst immer wiederkämen und seine Frau schreckliche Angst vor den Tieren hätte. Die Frauen erwidern mit einer ergebenen Höflichkeit, dass man die Katzen doch aber füttern müsse, sonst hätten sie ja nichts zu essen. Das geht immer wieder so hin und her – selbst als der Zuschauer schon längst erkannt hat, dass alle Kommunikationsversuche zum Scheitern verurteilt sind, sind die Beteiligten doch in einem Netz aus widerstreitenden Zielen und höflichem Anstand gefangen.

    Am Ende zoomt Hong Sang-soo auf die Katze, die sich die ganze Sache eher teilnahmslos angeschaut hat, als ob es sie gar nichts anginge – der erste Szenenapplaus im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb. Wahrscheinlich ist der Moment sogar nur zufällig entstanden, aber das ist eben auch eine der ganz zentralen Stärken des Regisseurs, immer für alles um ihn herum offen zu sein (in der Regel schreibt er Situationen erst am Abend vor dem Dreh, die Dialoge sind fast vollständig improvisiert). Und natürlich der wunderbare Humor, für den man diesmal oft ein wenig genauer hinschauen muss (weil alle Beteiligten weniger Promille intus haben).

    ... und Gespräch mit alter Freundin Nr. 3.

    Dass diesmal kaum Soju gekippt wird, könnte auch daran liegen, dass die Männer, die sich in den Filmen von Hong Sang-soo ja ohnehin regelmäßig im Alkoholrausch um Kopf und Kragen philosophieren, in „The Woman Who Ran“ endgültig nur noch als störendes Element vorkommen. Alle drei männlichen Figuren, ein aufdringlicher Nachbar, ein stalkender Nachwuchspoet und ein angebender Exfreund, stehen jeweils vor der Tür und werden – teils trotz Bettelns – auch nicht hereingelassen. Die Frauen haben auch ohne sie genug zu bequatschen…

    Fazit: Selbst für Hong-Sang-soo-Verhältnisse ist „The Woman Who Ran“ mit seinen drei zentralen, sich ergänzenden, kommentierenden und widersprechenden Gesprächen ein sehr reduzierter und konzentrierter Film – voll neugieriger Weisheit und schelmischem Humor. Miau.

    Wir haben „The Woman Who Ran“ im Rahmen der Berlinale gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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