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    Tatort: Baum fällt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tatort: Baum fällt

    Durchschnitt im Schatten des Großglockners

    Von Lars-Christian Daniels

    Der österreichische „Tatort“ mit Sonderermittler Moritz Eisner kam in der Vergangenheit nicht immer aus der Hauptstadt unseres Nachbarlandes: In der Zeit um die Jahrtausendwende hatte der ORF für seine Reihe „Österreichische Filme“ in Tirol einige Heimatfilme mit dieser Figur produzieren lassen, die erst nachträglich von der ARD Degeto für den „Tatort“ eingekauft wurden. Und auch in den letzten Jahren unternahm der Wiener Ermittler mit seiner Kollegin Bibi Fellner, die Eisner erstmalig 2011 zur Seite gestellt wurde, gerne mal Ausflüge – zuletzt im „Tatort: Wahre Lügen“ an den malerischen Wolfgangsee oder im „Tatort: Virus“ in die beschauliche Steiermark.

    Auch in Nikolaus LeytnersTatort: Baum fällt“ zieht es das österreichische Duo wieder in die Provinz – genauer gesagt in einen abgelegenen Winkel von Kärnten am Fuße des Großglockners. Das bringt prachtvolle Landschaftsaufnahmen mit sich – die allerdings neben der Abstinenz dreier eigentlich fest zum Wiener Ensemble zählenden Figuren auch schon das Bemerkenswerteste an dieser in jeder Hinsicht durchschnittlichen „Tatort“-Folge sind.

    Ermittlungen in der malerischen österreichischen Provinz.

    Die Wiener Ermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) fahren nach Kärnten: Dort wird Hubert Tribusser (Christoph von Friedl) vermisst, der Juniorchef eines großen Holzbetriebs. Tribussers Vater (Johannes Seilern) ist ein alter Spezi des Wiener Polizeipräsidenten und möchte die Ermittlungen nicht der örtlichen Polizei überlassen. Als Eisner und Fellner im Mölltal ankommen, hat sich die Suche bereits erledigt: In der Brennofenasche des Sägewerks wurde ein künstliches Schultergelenk gefunden, das dem Vermissten zugeordnet werden kann. Doch wer hat Tribusser verbrannt? Eisner holt sich den Rat seines alten Freundes Alois Feining (Karl Fischer) ein, der mittlerweile Polizeichef im Mölltal ist. Schnell wird klar, dass der Tote kein Kind von Traurigkeit war: Er hatte zahlreiche Affären, auch mit der Gattin seines Bruders Klaus Tribusser (Alexander Linhardt). Umweltaktivist Gerhard Holzer (David Oberkogler) ist ebenfalls tatverdächtig…

    Krimireihen mit regionalem Anstrich haben im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Hochkonjunktur: Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendein Ostfriesland- oder Usedom-Krimi läuft, der Zuschauer in einer neuen Folge „Donna Leon“ oder einem Kroatien-Krimi europäische Auslandsluft schnuppern darf oder – der neueste Streich des ZDF – im „Erzgebirgskrimi“ mal einen strukturschwachen Schauplatz in Sachsen zu sehen bekommt. All diese durchgeplanten und selten innovativen Filme haben eines gemeinsam: Über die 08/15-Geschichten trösten Lokalkolorit und hübsche Landschaften hinweg – wenn der Krimi schon wenig aufregend ausfällt, gibt es wenigstens was fürs Auge.

    Ein formelhafter Provinzkrimi

    Im hübsch fotografierten „Tatort: Baum fällt“ ist das ganz ähnlich: Drehbuchautorin Agnes Pluch liefert in ihrer Geschichte nichts, was man im „Tatort“ nicht schon viele Male gesehen hätte. Ein rätselhafter Mordfall, ein gutes Dutzend Tatverdächtige – und zwei Kommissare, die trotz ihrer Verschiedenheiten als Pärchen wunderbar funktionieren und den Täter am Ende überführen. Mit Eisners früherem Weggefährten Feining gibt es zudem eine klassische Nebenfigur der Kategorie „alter Freund“, der den Großstadtbullen nostalgisch werden lässt – gleichzeitig lässt sich in diesem formelhaften Provinzkrimi die Uhr danach stellen, dass Fellner ihm nicht über den Weg traut und sich irgendwann offenbart, dass Feining nicht mit offenen Karten spielt.

    Während viele Zuschauer der starke Dialekt in den Dialogen empfindlich stören wird, wollen viele „Tatort“-Puristen genau solch klassische Krimikost sehen – und als Whodunit zum Miträtseln funktioniert der Film unter Regie von Nikolaus Leytner („Der Trafikant“) allemal: Die Täterfrage ist nicht leicht zu beantworten und klärt sich erst in den Schlussminuten. Wer vielschichtige Figuren, überraschende Entwicklungen und knisternde Spannungsmomente erwartet, schaut aber über weite Strecken in die Röhre. Das Erwähnenswerteste an der 1110. Ausgabe der Erfolgsreihe ist fast noch die Tatsache, dass die Fans der Wiener „Tatort“-Folgen gleich auf drei Figuren verzichten müssen, die in den letzten Jahren fest zum Ensemble zählten: Während sich Kripochef Ernst Rauter (Hubert Kramar) nur telefonisch zuschaltet, fehlen Assistent „Fredo“ Schimpf (Thomas Stipsits) und Kult-Kiezgröße Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz) komplett.

    Da drin wurde das Opfer offensichtlich verbrannt.

    Dafür gibt es ein Wiedersehen mit Schauspielerin Verena Altenberger, die erst wenige Wochen zuvor ihr umstrittenes Debüt als neue Münchner „Polizeiruf 110“-Ermittlerin feierte und hier als schwangere Tatverdächtige im Sägewerk zu sehen ist: Altenberger reiht sich nahtlos in einen soliden Cast ein, in dem niemand enttäuscht, aber auch niemand heraussticht. Raum zur Entfaltung erhält ohnehin nur „Oldie“ Karl Fischer („Murer – Anatomie eines Prozesses“), der in seiner Rolle als örtlicher Polizeichef reihenweise buddhistische Sprichwörter einstreut und dem Großstadttrubel nichts mehr abgewinnen kann. Die vielen Szenen mit Eisner sind der Charakterzeichnung zwar dienlich, zugleich aber auch echte Spannungskiller – da nützt der stimmungsvolle „Rolling Stones“-Soundtrack, zu dem in Kärnten fleißig Bier getrunken und gekickert wird, herzlich wenig.

    Ihrem Bildungsauftrag wird die ARD mit dieser „Tatort“-Folge aber gerecht: Wir erfahren einiges über die Mechanismen der Kärtner Forstwirtschaft, die ihr Holz nicht etwa aus heimischen Wäldern, sondern zu Dumpingpreisen aus Osteuropa bezieht. Dass allein ein Land wie Rumänien in Zeiten des Klimawandels die Hälfte seiner 200.000 Hektar Urwald abholzen ließ, wird aber nicht näher thematisiert – stattdessen dichten die Filmemacher dem Umweltaktivisten Holzer, der den Finger schön in die Wunde hätte legen können, bemüht ein Alibi an, mit dem sich der Tatverdächtige schneller wieder ausklinkt, als Eisner am Telefon „Du mich auch!“ granteln kann. Abgesehen von solch typischen Eisner-Szenen wirkt Hauptdarsteller Harald Krassnitzer vor der prächtigen Kulisse des Großglockners manchmal wie im falschen Film – ein Schelm, wer an seine Zeit als „Der Bergdoktor“ oder „Der Winzerkönig“ denkt.

    Fazit: Solide österreichische Krimikost vor prachtvoller Kulisse – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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