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    Königsmacherin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Königsmacherin

    Eine Königsmacherin redet sich um Kopf und Krone

    Von Björn Becher

    Von 1956 bis zu seinem Sturz 1986 regierte Ferdinand Marcos die Philippinen mit eiserner Hand. In dieser Zeit schuf er die Demokratie quasi ab und sorgte dafür, dass das Land zu einem der korruptesten der Welt wurde. An seiner Seite sah man stets seine Frau Imelda, die sich auf Kosten des Volkes ein unglaubliches Vermögen anhäufte und schon bald als Strippenzieherin im Hintergrund galt. Nach dem Tod ihres Gatten im US-Exil 1989 kehrte sie in ihre Heimat zurück und erlebte dort in den vergangenen Jahren die Anfänge einer Renaissance. Die schwerreiche First Lady zeigte nicht nur selbst politische Ambitionen, sondern fördert vor allem ihren Sohn Bongbong, der nach ihren Vorstellungen eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten und das Land anführen soll. Sie gewinnt so wieder Einfluss und Macht in dem insgesamt 7.641 Inseln umfassenden Staat. Für ihren Dokumentarfilm „The Kingmaker“ kommt Lauren Greenfield der für ihren Prunk und Protz bekannten Ex-Schönheitskönigin ganz nahe und lässt sie ihre Geschichte erzählen. Das ist nicht ungefährlich, schließlich hat Imelda Marcos ihr Narrativ seit Jahrzehnten verinnerlicht. Aber mit geschickten Bildmontagen schafft es Greenfield nach und nach, die selbsterklärte „Mutter der Nation“ zu demaskieren.

    Nach den ersten Minuten von „The Kingmaker“ könnte man fast befürchten, dass die bisher vor allem für ihre entlarvenden Luxus-Dokumentation „The Queen Of Versailles“ bekannte Greenfield wie so viele auf ihre Protagonistin hereingefallen ist. Da sieht man dann, wie Imelda Marcos durch das heruntergekommene Manila fährt und sich über den abgewirtschafteten Zustand beklagt, während sie gönnerhaft aus der Luxuslimousine heraus Geldscheine an Kinder verschenkt. In den Interviews darf Marcos mit ruhiger Stimme – wie eine nette Großmutter - davon erzählen, wie sie sich selbst und die Welt sieht. Mittlerweile 90 Jahre alt, aber immer noch politisch aktiv, sitzt sie inmitten ihres Prunks und schwadroniert über die allerbesten Verhältnisse, die sie zu den Politikern aus aller Welt hatte.

    Imelda Marcos inmitten von Prunk und Protz.

    Und weil sie mit Ronald Reagan und Richard Nixon in den USA, Mao in China, Fidel Castro in Kuba und den Russen sowieso gleichermaßen gut ausgekommen ist, verbucht Marcos nebenbei auch noch das Ende des Kalten Krieges für sich. Man muss bisweilen schon schwer schlucken, wenn die First Lady eines korrupten, für die Inhaftierung und Folter zehntausender politischer Gegner verantwortlichen Terrorregimes solche Lügengespinste fabrizieren darf und ihr die im Off bleibende Regisseurin nicht direkt widerspricht.

    Aber dann zeigen sich immer mehr Brüche in dem von Marcos angestrebten Narrativ (man erfährt ja auch nicht, warum sie der Dokumentation überhaupt zugestimmt hat, vielleicht fühlte sie sich einfach nur geehrt). Das fängt mit kleinen Szenen an: Marcos erzählt anhand von im Garten aufgestellten, gerahmten Bildern, welche hochrangigen Politiker sie alle wann getroffen hat. Als dabei eines der Fotos vom Tisch kippt und das Glas zu Bruch geht, zuckt sie nicht einmal mit der Wimper und spricht ohne Pause weiter, während ein Bediensteter hastig anfängt, die Scherben zusammenzufegen. In ihrem Selbstverständnis ist Marcos längst so sehr auf die Vermittlung genau ihrer Sicht abgerichtet, dass sie sich von absolut gar nichts davon abbringen lässt – nicht von einem zersplitterten Foto und nicht von lästigen Fakten.

    Entlarvende Fakten

    Zumal die Reisen zu den Mächtigen der Welt auch so noch eine andere Geschichte erzählen. Ihr Mann hat Marcos nämlich nicht nur in alle erdenklichen Staaten der Erde geschickt, weil er unter schrecklicher Flugangst litt, sondern auch wegen seiner notorischen Untreue. So machte er sich den Weg für seine Affären frei. Mit diesem Umstand konfrontiert, bröckelt Marcos Selbstinszenierung tatsächlich, aber auch nur ganz kurz. Trotzdem ist ab diesem Punkt klar: Greenfield überlässt ihren Film und ihr Narrativ natürlich ganz und gar nicht der titelgebenden Königsmacherin.

    So folgen auf die Aussagen der Präsidentengattin immer wieder entlarvende Fakten. Da erzählt Marcos voller Stolz von ihrer eigenen Safari-Insel, für die sie etwa Giraffen, Zebras und weitere exotische Tiere aus Afrika einfliegen ließ. Greenfield lässt sie dabei erst einmal ganz frei von ihrer völlig hirnrissigen Wahnsinnsaktion berichten. Menschen seien dabei natürlich auch keine zu Schaden gekommen, die Insel, die man in einen Riesen-Zoo ohne Zäune und Regeln umgewandelt habe, sei schließlich ohnehin unbewohnt gewesen. Schnitt zu einer Frau, die ihr Leid klagt: Sie gehört zu den mehr als 250 Familien, die von den Soldaten des Marcos-Regimes einst von genau jener Insel vertrieben wurden, um Platz für die exotischen Tiere zu schaffen. Schnitt zu den Tieren, die heute in dem fremden Lebensraum vor sich hinvegetieren, auch durch die quasi erzwungene Inzucht (schließlich wurden meist nur eine Handvoll Exemplare importiert).

    Brutale Wahrheit

    Immer wieder stellt Regisseurin Greenfield den absurden Erzählungen von Marcos die brutale Wahrheit gegenüber. So demaskiert sie die selbsterklärte Wohltäterin als die Person, die sie wirklich ist: Eine Frau, die sich auf Kosten des Volkes bereichert hat und nun in ihrem riesigen Vermögen schwelgend herumheult, was für ein Unrecht ihr doch angetan wurde. Wobei sie ihr offensichtliches Vermögen offiziell gar nicht mehr besitzt: Als spätere Regierungen sich zumindest einen Teil des Geldes zurückholen wollten, hingen statt der Picassos plötzlich nur noch Familienfotos an den Wänden, das Schlafzimmer war abgeschlossen. Aber natürlich lässt es das Ego von Marcos, die früher bei Shoppingtrips in europäische Metropolen auch schnell mal 100.000 Dollar auf einmal ausgab, nicht zu, sich gegenüber der Filmemacherin aus dem Westen nicht von ihrer besten Seite zu zeigen: Deshalb sitzt sie dann doch wieder inmitten von allerlei Prunk und an der Wand hängen wieder die Kunstwerke mit Millionenwert.

    Damit knüpft Greenfield direkt an ihre vorangegangene Dokumentation „Generation Wealth“ über die Obsession der Menschheit mit Reichtum und Luxus an. Immer wieder zeigt sie in „The Kingmaker“ die Extravaganz ihrer Hauptfigur, die im Boulevard vor allem für ihre gigantische Schuhsammlung berühmt wurde, bei der jedes Paar nur ein einziges Mal getragen wurde. In „The Kingmaker“ stehen so Reichen-Porträt, Polit-Doku und Lehrstück über die jüngere und aktuelle Geschichte der Philippinen nicht nur gleichberechtigt nebeneinander, sondern ergänzen sich stimmig – auch weil die Filmemacherin immer wieder einzelne Punkte auf mehreren der Ebenen parallel verhandelt. Das ist erhellend – und zugleich auch noch schrecklich unterhaltsam.

    Fazit: Eine entlarvende und zugleich warnende Doku über eine Frau, die ihr Vermögen auf dem Rücken ihres Volkes anhäufte, sich aber trotzdem für die größte Wohltäterin hält und auf dem besten Weg ist, trotz allem erneut zu einer der stärksten politischen Kräfte der Philippinen aufzusteigen.

    Wir haben „The Kingmaker“ bei den Filmfestspielen in Venedig gesehen, wo er außer Konkurrenz im offiziellen Programm gezeigt wurde.

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