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    The Secrets We Keep - Schatten der Vergangenheit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Secrets We Keep - Schatten der Vergangenheit

    Liebling, ich habe einen Naziverbrecher im Kofferraum

    Von Tobias Mayer

    In der legendären letzten Szene von Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ ritzt der Nazijäger Lt. Aldo Raine (Brad Pitt) dem gefangengenommenen Hans Landa (Christoph Waltz) ein Hakenkreuz in die Stirn. Der SS-Standartenführer, dessen Job im Aufspüren von Juden bestand, soll sich nach dem Krieg nicht verstecken können, indem er einfach nur seine Uniform ablegt und als brillanter Rhetoriker eine erlogene Vergangenheit konstruiert. Für gewöhnlich aber hatten Nazi-Verbrecher nach dem Krieg natürlich keine Hakenkreuznarben auf der Stirn.

    In „The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit“ trifft eine Frau 15 Jahre nach Kriegsende auf ihren Nazi-Peiniger – oder zumindest glaubt sie das. Denn es gibt weder eine Hakenkreuznarbe noch sonst irgendwelche objektiven Beweise, dass der Mann, der in den USA inzwischen ein vollkommen unbehelligtes Familienleben zu führen scheint, tatsächlich der Kriegsverbrecher von damals ist. Trotzdem greift die Frau zu radikalen Maßnahmen, weshalb das Publikum plötzlich vor dem ebenso komplexen wie spannenden Dilemma steht, wem man in diesem ruppig-brutalen Entführungs-Thriller eigentlich die Daumen drücken soll. Eine gelungene Gratwanderung – zumindest bis zur enttäuschenden Auflösung.

    Liebling, ich habe einen Naziverbrecher im Kofferraum...

    1959 in einem amerikanischen Vorzeige-Vorort: Maja (Noomi Rapace), die aus Rumänien stammt und als Angehörige der Sinti und Roma von den Nationalsozialisten in einem Lager inhaftiert wurde, genießt ein Picknick mit ihrem Sohn Patrick (Jackson Dean Vincent). Als ein Mann (Joel Kinnaman) an ihr vorbeiläuft, kommt der ihr plötzlich auf schreckliche Art bekannt vort. Als Maja den Mann später noch einmal von Nahem sieht, gibt es für sie keinen Zweifel mehr: Er, der angeblich Thomas heißt und mit seiner Familie nur ein paar Häuser entfernt lebt, ist in Wahrheit der Soldat, der im Zweiten Weltkrieg ein abscheuliches Verbrechen an ihr und ihrer Schwester begangen hat.

    Maja stellt dem Mann eine Falle – und so findet sich Thomas kurze Zeit später erst in Majas Kofferraum und schließlich in ihrem Keller wieder. Er beteuert allerdings mit Nachdruck seine Unschuld – und schließlich zweifelt sogar Majas Ehemann Lewis (Chris Messina), der ihr eigentlich glauben möchte, ob die Erinnerungen seiner Frau wirklich stimmen...

    Ab in den Keller

    Regisseur Yuval Adler („Die Agentin“) verschwendet zu Beginn von „The Secrets We Keep“ keine Zeit: Es dauert nicht mal 20 Minuten, da hat Maja, die gerade noch so arglos auf ihrer Picknickdecke saß, ihren vermuteten Peiniger auch schon k.o. geschlagen und im Kofferraum verstaut. Die folgenden Szenen, die sich meist im Keller von Majas blütenweißem Vorstadthaus abspielen, könnten mitunter auch aus einer Thriller-Groteske der Coen-Brüder wie „Blood Simple“ oder „Fargo“ stammen – sind dann aber doch vor allem brachial spannend statt schwarzhumorig:

    Die Nachbarn und besonders Thomas' Frau Rachel (Amy Seimetz) fragen sich natürlich, wo der Verschwundene denn wohl abgeblieben ist, weshalb auch Maja und Lewis bald Besuch von einem Polizisten bekommen – wobei schon die Blutspuren an der Eingangstür, die Maja noch schnell zu verbergen versucht, davon zeugen, dass in diesem vermeintlich vorbildlichen Vorstadthaus etwas ganz und gar nicht stimmt. Zumal das Blut, das Thomas an der Haustür hinterlassen hat, sowieso nur der Anfang ist …

    Im Keller soll die Wahrheit ans Licht kommen - koste es was es wolle...

    Denn bei ihren Versuchen, Thomas endlich ein Geständnis abzuringen, werden Maja und Lewis zunehmend brutaler, weshalb „The Secrets We Keep“ stellenweise sogar in blutige Torture-Porn-Gefilde der Sorte „Saw“ und „Hostel“ vordringt. Da muss sich der mehr und mehr verängstigte Thomas dann doch ernsthafte Sorgen machen, mit wie vielen seiner Extremitäten er das Haus später einmal wieder verlassen wird (wenn überhaupt). Kein Zweifel: „The Secrets We Keep“ ist trotz seiner ernsthaften Thematik ein stellenweise reißerischer, dabei aber eben auch verdammt effektiver Thriller …

    … zumal er eben nicht nur mit den expliziten Bildern, sondern vor allem mit den dahinter verborgenen Fragen quält: Ist Thomas wirklich ein Kriegsverbrecher? Oder hat Maja sich in ihrem Trauma eine Erinnerung konstruiert, wie es auch ein von Lewis konsultierter Psychiater als Möglichkeit in den Raum stellt? Bei beiden Varianten tun sich verstörende Abgründe auf.

    Wer ist Täter? Wer Opfer?

    Ob es mehr als 15 Jahre nach dem Verbrechen an Maja und ihrer Schwester noch eine eindeutige Aufklärung geben wird? Daran sähen Regisseur Yuval Adler und sein Co-Autor Ryan Covington immer wieder geschickt Zweifel, weil keines der Indizien, die im Verlauf des Kellerverhörs zutage gefördert werden, eindeutig für eine der beiden Varianten spricht. Zumal Joel Kinnaman („Altered Carbon“) und Noomi Rapace („Prometheus“) beide sehr gut darin sind, den Zuschauer von der jeweiligen Position ihrer Figur zu überzeugen:

    Man will Maja glauben, dass sie endlich den Widerling gestellt hat, der für ihr lebenslanges Trauma verantwortlich ist. Sie hat die grimmige Entschlossenheit einer Frau, die weiß, dass sie hier eine einmalige Chance auf Vergeltung hat – und zugleich steht ihr immer mehr die Verzweiflung darüber ins Gesicht geschrieben, dass diese Chance womöglich bald vorbei ist. Auf der anderen Seite Thomas, der eben wie ein grundsympathischer Typ wirkt und dem man abnimmt, dass er bloß das Opfer einer schlimmen Verwechslung wurde und nun ohne Grund um seine Extremitäten und sein Leben bangt.

    Nur hätte sich „The Secrets We Keep“ lieber bis zum Rollen des Abspanns an seinen Filmtitel halten sollen: Die stattdessen präsentierte Auflösung ist enttäuschend glatt und simpel, womit sie dem vorangegangenen Film leider einfach nicht gerecht wird.

    Fazit: Ein temporeicher, spannender, moralisch komplexer Thriller, dem erst ganz zum Schluss, wenn es zur Auflösung kommt, die Puste ausgeht.

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