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    Tatort: Hüter der Schwelle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: Hüter der Schwelle

    "Fight Club" im "Tatort"

    Von Lars-Christian Daniels

    Der „Tatort“ aus Stuttgart stand in den vergangenen Jahren wie kaum eine zweite Ausgabe der öffentlich-rechtlichen Erfolgsreihe für Krimi-Unterhaltung auf durchgehend hohem Niveau – und das sowohl in der Wahrnehmung der vielen Millionen Fernsehzuschauer als auch in der Wahrnehmung der TV-Kritiker, die bekanntlich nicht immer der gleichen Meinung sein müssen. Dabei ging der federführende SWR im „Ländle“ keineswegs auf Nummer sicher, sondern wagte sich auch an schwierige Stoffe: „Tatort: Stau“ beispielsweise spielte fast neunzig Minuten in einem reizvollen Mikrokosmos auf der Stuttgarter Weinsteige (die in Freiburg nachgebaut wurde), mit „Tatort: Der rote Schatten“ gab Filmemacher Dominik Graf seine ganz eigene Antwort auf die Todesfrage dreier RAF-Terroristen im Gefängnis in Stammheim und „Tatort: Der Mann, der lügt“ wurde gar komplett aus der Sicht des Hauptverdächtigen erzählt. Nun folgt mit Piotr Lewandowskis mutigem „Tatort: Hüter der Schwelle“ der nächste ausgefallene Film aus Stuttgart. Doch dieses Mal geht die Rechnung nicht auf: Der mit „Fight Club“-Anleihen und Okkultismus-Motiven durchsetzte Mysterykrimi ist der schwächste Stuttgarter „Tatort“ seit Jahren.

    Auf einem Berg vor den Toren Stuttgarts finden Jugendliche die halb nackte Leiche des Studenten Marcel Richter (Max Bretschneider). In seinen Oberkörper sind seltsame okkulte Zeichen eingeritzt, die man ihm prämortal zugefügt hat, und das Opfer trägt auch noch weitere magische Requisiten bei sich. Die Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare), die von Staatsanwältin Emilia Alvarez (Carolina Vera) auf den Fall angesetzt und von Gerichtsmediziner Dr. Daniel Vogt (Jürgen Hartmann) mit wertvollen Erkenntnissen versorgt werden, vermuten einen Ritualmord hinter der grausamen Tat. Bei ihren Nachforschungen treffen die Ermittler auf den Privatgelehrten Emil Luxinger (André M. Hennicke), der sich selbst als Magier sieht und Richter mit einem Schadenszauber belegt hat, weil der ihm angeblich ein wertvolles Buch gestohlen hat. Richters Mutter Heide (Victoria Trauttmansdorff) weist mögliche Verbindungen in okkultistische Kreise aber ebenso zurück wie die junge Studentin Diana Jäger (Saskia Rosendahl), die viel Zeit mit dem Toten verbracht hat und das gesteigerte Interesse von Bootz auf sich zieht…

    Der Magier Luxinger (© SWR/Benoît Lindner).

    An der düsteren Inszenierung von Regisseur Piotr J. Lewandowski („Jonathan“) oder den stimmungsvollen Bildern von Stammkameramann Jürgen Carle liegt es nicht, dass „Tatort: Hüter der Schwelle“ das hohe Niveau der vergangenen Stuttgarter Krimi-Jahre diesmal nicht halten kann. Im Gegenteil: Schon die Eröffnungssequenz auf dem malerischen Bergplateau zieht den Zuschauer durch eine aufwändige Kamerafahrt förmlich in das Geschehen hinein – und auch in den darauf folgenden eineinhalb Stunden ist es vor allem die finstere und ungewohnt mystische Atmosphäre, die die Spannungskurve nie ganz in den Keller sacken lässt. Mit der eigenwilligen Geschichte werden sich aber Teile des Publikums schwertun: Wie bereits im jüngsten „Tatort: Die harte Kern“, in dem die Weimarer Kollegen Lessing (Christian Ulmen) und Dorn (Nora Tschirner) nach einer verfluchten Statue suchten, spielt auch diesmal ein folgenreicher, aber missglückter Zauber eine wichtige Rolle. Anders als in der Krimikomödie aus Thüringen ist der Hokuspokus hier aber ernst gemeint. So wird der selbst ernannte Hexer Luxinger dann auch prompt von den Kommissaren mit ins Präsidium geschleppt, was der bereitwillig über sich ergehen lässt: Fluchversuch statt Fluchtversuch.

    Aus dem 1104. „Tatort“ hätte trotzdem ein guter Mysterykrimi werden können: Denn nur, weil der Hauptverdächtige an Wiedergeburten im anderen Körper, seltsame Rituale und das direkte Fortschreiben einer Geschichte aus dem 17. Jahrhundert im Hier und Jetzt glaubt, müssen die Kommissare das ja noch lange nicht tun. Im Mittelteil verliert der Film aber die Bodenhaftung, weil Drehbuchautor Michael Glasauer („Trash Detective“) deutlich über das Ziel hinausschießt: Während Lannert gedankenverloren in alten Schinken blättert, mithilfe eines schwäbischen Pfarrers auf einen berüchtigten Hexenjäger aus der früheren Stauferstadt Esslingen stößt und plötzlich von Luxinger selbst in den historischen Kontext gesetzt wird, verirrt sich Bootz bei einem konstruierten Undercover-Einsatz in eine Stuttgarter Bar, in deren Betonkeller sich der durchtrainierte Kommissar in bester „Fight Club“-Manier mit einem kleinkriminellen Dealer (Gerdy Zint) die Nase blutig kloppt. Wenngleich sich hier das TV-Publikum über etwas Eyecandy freuen darf, wird der actionreiche Handlungsschlenker ziemlich holprig in die Geschichte eingeflochten – und auch das subtile Knistern zwischen dem Wieder-Single Bootz und der geheimnisvollen Studentin Diana bringt kaum zusätzliche Brisanz in den Sonntagskrimi.

    Künstlich erzeugte Spannung

    Was dem „Tatort: Hüter der Schwelle“ endgültig das Genick bricht, ist aber die schwache Auflösung der klassischen Whodunit-Konstruktion, die nur durch einen dramaturgischen Kniff überhaupt erst zustande kommen kann: Hätte Gerichtsmediziner Dr. Vogt einfach von Beginn an die nötige Sorgfalt an den Tag gelegt und bei der Leiche genau hingeschaut, wäre den Kommissaren eine Menge Ärger erspart geblieben. So wird eine wichtige Erkenntnis einfach künstlich zurückgehalten, um dem Zuschauer die Auflösung der Täterfrage ja nicht zu früh preiszugeben, zumal der Kreis der Verdächtigen sehr überschaubar bleibt. Da ist man aus Stuttgart deutlich Originelleres gewöhnt, und so tröstet es am Ende wenig, dass sich die Besetzung keine Blöße gibt: Während Hauptdarsteller Felix Klare vor allem physisch gefordert wird und ordentlich einstecken muss, verrichtet sein TV-Partner Richy Müller unaufgeregten Dienst nach Vorschrift. In Erinnerung bleibt aber vor allem der gelegentlich auf einem schmalen Grat zum Overacting wandelnde André Hennicke, der dem Affen als geheimnisvoller Hexer und Gegenspieler ordentlich Zucker gibt.

    Fazit: Piotr J. Lewandowskis „Tatort: Hüter der Schwelle“ ist ein stimmungsvoller Mysterykrimi, dessen eigenwillige Geschichte unterm Strich aber nicht überzeugt.

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