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    Hannes
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Hannes

    Der weniger gute Schmarrn

    Von Karin Jirsak

    Krimifans ist sie vor allem als Autorin der Eberhofer-Reihe bekannt. Dass Rita Falk auch anders als kriminalistisch-humoristisch kann, ließ sie ihre Leser*innen aber spätestens mit der Veröffentlichung von „Hannes“ wissen. Der 2012 erschienene Roman erzählt die tragikomische Geschichte einer Freundschaft zweier 19-Jähriger – wobei einer von ihnen, nämlich der titelgebende Hannes, nach einem Motorradunfall im Koma liegt. Nachdem bereits sieben von Rita Falks Provinzkrimis von „Dampfnudelblues“ bis „Kaiserschmarrndrama“ erfolgreich verfilmt wurden …

    … hat sich mit Hans Steinbichler („Hierankl“) nun ein echter Experte des modernen Heimatfilms des Stoffes angenommen. Das Ergebnis ist ein Coming-of-Age-Film vor wuchtiger Bergkulisse mit dem erklärten Anspruch, ein „Crossover zwischen absolutem Drama und waschechter Komödie“ im Geiste von „Ziemlich beste Freunde“ zu sein. Bei diesem Vorhaben pfeift Steinbichler auf realistische Darstellungen und bleibt immer so nah an der Oberfläche, dass die vom aufdringlichen Score zusätzlich forcierten Gefühlsregungen in den meisten Szenen dann doch eher ausbleiben.

    Moritz (Leonard Scheicher) und Hannes (Johannes Nussbaum) wurden im Abstand von nur einer Minute geboren.

    Moritz (Leonard Scheicher) und Hannes (Johannes Nussbaum) wurden am selben Tag im selben Krankenhaus geboren. Moritz kam nur eine Minute später zur Welt – und seitdem sind die Jungs absolut unzertrennlich. Zumindest bis Hannes nach einem Motorradunfall ins Wachkoma fällt. Als wäre das nicht schon schlimm genug, gibt Hannes’ Familie Moritz auch noch die Schuld an dem Unglück.

    Um seinem besten Freund trotzdem nah sein zu können, beginnt Moritz, dessen Tagebuch weiterzuführen. Außerdem übernimmt er Hannes‘ Zivi-Stelle im „Vogelnest“, einer Wohneinrichtung für psychisch Kranke. Nach und nach lernt er dort, was Verantwortung wirklich bedeutet. Doch was als Übergangslösung gedacht war, wird immer mehr zur Normalität, während sich zunehmend die Frage stellt, ob Hannes überhaupt noch einmal aufwachen wird...

    Glaubwürdig geht anders

    Zwei junge Männer rasen auf Motorrädern über eine Gebirgsstraße. Unterwegs machen sie Halt und tauschen die Maschinen. Haarsträubende Begründung von Hannes, der bis dato immer alles im Griff hatte: Das Bike von Moritz ist ein Schrotthaufen und kann deshalb nur vom eine Minute Älteren bezwungen werden. „Kümmer‘ dich mal um dein Zeug“, kommentiert Hannes prophetisch, bevor noch lässig der kleine Hund unter der Lederjacke verstaut und dann gutgelaunt weitergeheizt wird. Gleich zu Beginn von „Hannes“ wird also verdammt dick aufgetragen …

    … und das passiert auch in den folgenden knapp 90 Minuten noch des Öfteren. Zum Beispiel, wenn wir Moritz nach dem Unfall auf der Intensivstation sehen, wie er mit stillem Einverständnis des menschelnden Arztes (verschenkt: Heiner Lauterbach) stundenlang mit angezogenen Schuhen auf dem Bett des Koma-Patienten liegen darf – und das, obwohl die Angehörigen ihm einstimmig die Schuld an Hannes’ Unfall geben. Die Eltern können dafür auch ohne Probleme das Hündchen mit ins Krankenzimmer bringen, um es Hannes auf den Bauch zu setzen. Wer sich diese und andere Szenen ausgedacht hat, kann noch nie eine Intensivstation von innen gesehen haben – oder es wurde einfach beschlossen, die dort aus guten Gründen geltenden Regeln zugunsten von süsslichen Szenen zu ignorieren. Das ist zwar nicht verboten, verhilft dem ohnehin arg konstruierten Koma-Plot aber auch nicht zu mehr Glaubwürdigkeit:

    Einfach schön, die bereits 2019 verstorbene Hannelore Elsner noch mal auf der großen Leinwand zu sehen.

    „Hannes“ ist mit seinem Mangel an Realitätssinn schon ein ziemlicher Schmarrn – und zwar nicht der guten Sorte, wie wir ihn in den Eberhofer-Krimis kennen- und lieben gelernt haben:

    „Hannes“ will die Geschichte eines besonderen Menschen erzählen: Aber obwohl wir den blondgelockten Titelhelden in einer Szene sogar splitterfasernackt sehen, erfahren wir über das, was unter der abenteuerlustigen Fassade liegt, so gut wie nichts.

    „Hannes“ will auch eine Geschichte über Freundschaft sein: Aber was genau ist abseits des Ein-Minuten-Zufalls eigentlich das Besondere an dieser Verbindung? Ein paar biografische Häppchen und die mehrmals wiederholte Aussage, wie besonders diese Freundschaft schon immer gewesen sei, müssen da leider genügen.

    „Hannes“ will auch eine Geschichte über das Wachsen am (drohenden) Verlust sein: Bei näherer Betrachtung ist Moritz am Ende aber nicht weniger orientierungs- und verantwortungslos als am Anfang.

    Bitte schön sexy

    All diese und andere Nachlässigkeiten finden sich zum Teil bereits im Roman (in dem Moritz allerdings noch Uli heißt). Was man aber klar der Verfilmung anlasten muss, ist die Musik. Mit dem ganz großen Kitschkübel wird der penetrant-emotionale Score über jeden Anflug von Gefühl gegossen.

    Und was hat sich Regisseur Hans Steinbichler nur dabei gedacht, die „Vogelnest“-Psychiaterin (Verena Altenberger) im Dienst (!) mit Ledermini und absurd hohen Stilettos auszustaffieren? Ihr das Wort „sexy“ einfach auf die Stirn zu schreiben, wäre wohl selbst in „Hannes“ zu plump gewesen. Beschwingter Lichtblick im Blumenbett: Hannelore Elsner als das, was sich Falk und Steinbichler unter einer Psychotikerin zusammenromantisieren, in einer ihrer letzten Rollen.

    Fazit: Leuchtende Gebirgspanoramen und Musik wie aus der Bierwerbung bilden den Rahmen für eine realitätsferne Geschichte über Freundschaft, Verlust und Selbstfindung, die keines ihrer Themen wirklich ernstnimmt und weder Figuren noch Konflikte ausreichend ausarbeitet.

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