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    Fußballgöttinnen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Fußballgöttinnen
    Von Björn Becher

    Die Fußball-Weltmeisterschaft ist das Ereignis in Deutschland 2006, welches wohl die meisten Menschen bewegen wird. Schon Monate vorher wirft das Jahrhundert-Event seine Schatten voraus, Supermärkte verkaufen Produkte zur Weltmeisterschaft, an den Grenzen werden die ausländischen Zuschauer schon zu dem Großereignis Willkommen geheißen, Abziehbilder werden deutlich vor der WM wieder Schokoriegeln beiliegen und die Konterfeis der deutschen Nationalspieler die Coladosen zieren. Jeder will an der WM verdienen, wird doch auch nichts mehr als ein deutlicher Konjunkturaufschwung von ihr erwartet. Natürlich stehen da auch Filmemacher und die Produzenten bei Filmstudios und TV-Anstalten dem in nichts nach. Wohl noch nie kamen oder kommen noch so viele Filme, in den das runde Leder eine Rolle spielt in die deutschen Kinos oder flimmerten über die TV-Geräte. Schon gelaufene Filme wie Eine andere Liga oder bald startende wie FC Venus sind da erst der Anfang. Davon profitieren auch Filmemacher, die es mit ihren Stoffen sonst vielleicht nur in das Spätprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens schaffen würden und so nun in wenigen Kinos ihr Werk präsentieren können. Das wird vielleicht der ein oder anderen kleinen Perle etwas mehr Aufmerksamkeit bringen. Auf „Fußballgöttinnen“, eine gemeinsame Dokumentation der beiden jungen, bisher in vielfältiger Weise für das Fernsehen tätigen Regisseurinnen Nina Erfle und Frédérique Veith, trifft der Begriff „Perle“ aber leider nicht zu, obwohl der Film sehr viele gute Ansätze hat.

    Erfle und Veith porträtieren vier Frauen verschiedener Altersgruppen, deren Leben auf vier verschiedene Arten eng mit Fußball verknüpft ist. Trautchen Ziegert ist Anfang 60 und schon lange Platzwartin beim Berliner Fußballverein Blau-Weiß Berolina. Doch sie träumt vom Ruhestand und einer Zeit, in welcher sie sich nicht mehr um andere kümmern muss. Ihr Leben lang hat sie sich um Kinder, Enkelkinder und die Fußballspieler gekümmert, nun hat sie noch ihren 23 Jahre alten Enkelsohn zu Hause, den sie von Geburt an aufgezogen hat und der nicht ausziehen will. Auch wenn sie weiß, dass sie endlich diesen Schritt vollziehen muss, bringt sie es lange nicht übers Herz, den erwachsenen Enkel sich selbst zu überlassen und endlich einmal Freizeit zu genießen. 1982 besuchte Bettina Hennemann als Kind zum ersten Mal das Stadion der Offenbacher Kicker. Seitdem ist sie vom Fußballvirus infiziert und glühender Fan, der den Verein samstags anfeuert, damit er den Aufstieg in die 2. Bundesliga schafft (Fußballkenner werden wissen, dass den Offenbacher Kickers dieser Erfolg gelang). Viola Odebrecht wollte eigentlich Schwimmerin werden, mehr durch Zufall wurde sie Fußballerin. Sie spielt bei Turbine Potsdam, wurde Weltmeister 2003 und Deutscher Meister 2004. Nun kämpft sie mit ihrem Team um den Gewinn des UEFA-Cups 2004/2005 und alleine gegen zwei Teamkolleginnen um den Sprung in den Nationalmannschaftskader für die Frauen-Europameisterschaft 2005. Kenner des Frauen-Fußballs werden wissen, dass nur der internationale Titelkampf mit der Potsdamer Mannschaft von Erfolg gekrönt war. Jüngste im Bunde ist Beatrix Nieder, 16 Jahre alt und Schieds- sowie Linienrichterin. Am Wochenende kann sie sich gegen deutlich ältere Männer durchsetzen, zu Hause kämpft sie mit den alltäglichen Problemen pubertierender Mädchen.

    Der Film zeigt über weite Strecken sehr ungeschminkt das Leben der vier Frauen. Die Szenen, welche wohl größtenteils Anfang bis Mitte des Jahres 2005 entstanden sind (zumindest auf die Szenen rund um Fan Bettina und Kickerin Viola trifft dies zu), befassen sich dabei erfreulicherweise nicht nur mit den Fußballerlebnissen, sondern liefern auch Einblicke in das Privatleben der vier Frauen. Leider gelingt dies in unterschiedlicher Güte.

    Positiv stechen die Schilderung des Lebens von Schiedsrichterin Beatrix und Platzwartin Trautchen heraus. Die beiden völlig unterschiedlichen Frauen haben beide ihre privaten Probleme. Vor allem bei Trautchen lastet hier der Fokus der Schilderung. Einigen Szenen im Fußballclub stehen deutlich mehr private Szenen gegenüber, die zeigen, wie sich diese Frau immer weiter mit ihrer Gutmütigkeit aufreibt und sich dabei endlich einmal Erholung wünscht. Als Zuschauer hofft man den Film über nur, dass sie diese endlich bekommen wird. Bei Beatrix überzeugt vor allem die Schilderung des Unterschieds und der Gemeinsamkeiten zwischen Privaten und Sport. Man merkt deutlich, wie das Schiedsrichter-Sein ihr Selbstbewusstsein gesteigert hat. Jemand der am Wochenende sich gegen 15 Jahre ältere Männer durchsetzt, hat auch kein Problem dem „Freund“ (oder Verehrer) am Telefon noch ein schönes restliches Leben ohne sie zu wünschen. Der Teil des Films, welcher sich mit Beatrix befasst ist am interessantesten. Man bekommt vielfältige Einblicke in ihren Alltag. Hier spielt das Verhältnis Frauen und Fußball, welches ja im Mittelpunkt des Films stehen soll, die größte und wichtigste Rolle. Beatrix muss sich sowohl auf dem Fußballplatz als auch am elterlichen Küchentisch behaupten. Dabei geht sie mal souverän mit laxen Kommentaren der männlichen Kicker („Trikottausch?“) um und verhält sich dann zickig und bockig zu Hause.

    Sehr deutlich wird dies in einer Gegenüberstellung mit „Fan“ Bettina. Das Privatleben wird hier sowieso reichlich uninteressant geschildert, die Berufung als Fan vermag es kaum zu vermitteln, warum es hier etwas Besonderes ist, dass sie eine Frau und kein Mann ist. Sicher liegt dies auch daran, dass weibliche Fans mittlerweile recht selbstverständlich sind, während weibliche Schiedsrichter noch eine sehr große Ausnahme darstellen, trotzdem werden hier die wenigen interessanten Ansatzpunkte leider liegen gelassen. Was bedeutet Bettinas „Fanatismus“ für mögliche Beziehungen? Sie ist Single, eine frühere Beziehung in die Brüche gegangen. Ob neben ihrer Fußball-Leidenschaft Platz für einen Mann ist, wird allerdings nicht erörtert. Dass ein solches Thema Stoff für einen hochinteressanten Dokumentarfilm bietet, zeigt zum Beispiel die Dokumentation „Solo Ultra“ von Erik Winker. Dort werden fanatische Fans (allerdings männliche) von Eintracht Frankfurt und ihre Frauen und Freundinnen, sofern sie welche haben, porträtiert und es wird gezeigt, wie die Frauen unter der Leidenschaft ihrer Männer leiden. Die Episode um Bettina ist so recht langweilig. Sie ist ein Fan, wie viele andere auch. Es gibt nichts Interessantes für den Zuschauer und vor allem kaum etwas, dass zum Thema „Frauen und Fußball“ beiträgt.

    Bei Kickerin Viola spielt das Privatleben im Film dagegen kaum eine Rolle. Es wird kurz gezeigt, dass sie studiert, ihr Bruder kommt ein paar Mal zu Wort und am Ende verabschiedet sie sich für ein Jahr nach Amerika. Der Fokus liegt hier klar auf dem sportlichen Leben mit Höhen (Tore, Gewinn des UEFA-Cups) und Tiefen (harte Trainerkritik, keine Nominierung für die Europameisterschaft). Den beiden Filmemacherinnen gelingt hier über weite Strecken ein stimmiges Spielerportrait. Vieles dient zwar nur dazu, den Alltag eines Fußballprofis allgemein zu zeigen, es gibt aber auch Einblicke in die Besonderheit mit der Frauen in diesem Metier zu tun haben. So kann Viola Odebrecht von der früheren mütterlichen Sorge berichten, dass der Fußball sie an einer falschen Stelle treffen könnte und sie keine Kinder mehr bekommen könne. Interessant auch die Statements zum Verhältnis zwischen körperlicher Fitness und weiblicher Attraktivität. So teilt sie sehr offen mit, dass sie auf fünf Sekunden schneller laufen verzichten würde, wenn durch die Muskelmasse sie nicht mehr wie eine Frau aussähe. Auch Kinder wünscht sie sich, was für weibliche Sportler ja immer in Konkurrenz zum Sport steht. Hier gelingt es nach Schiedsrichter Beatrix am besten, die Unterschiede zwischen einem Mann und einer Frau an dieser Stelle aufzuzeigen.

    Formal gefällt vor allem das gute Gespür der beiden Regisseurinnen für den richtigen Szenenwechsel. Mehrmals schneiden sie sehr gelungen zwischen den vier Protagonistinnen hin und her, so dass Äußerungen der einen thematisch zu Szenen bei den anderen passen. Zudem haben sie sich etwas Besonderes einfallen lassen, dass allerdings nur streckenweise zu gefallen weiß. Die vier Protagonistinnen werden zu Beginn in einem Computerstadion als Computerfiguren vorgestellt. Die Grafik erinnert dabei an kultige C64-Spiele aus einer schon etwas länger zurückliegenden Vergangenheit.

    „Fußballgöttinnen“ hat des weiteren ein paar Mal darunter zu leiden, dass sich Personen vor der Kamera nicht richtig natürlich verhalten. Man merkt ein ums andere Mal, dass Figuren durch die Kamera beeinflusst werden, vor allem eine Szene am Abendessentisch bei der Familie von Beatrix fällt hier negativ auf. Zudem wirkt ein Zusammentreffen von Beatrix mit dem Mainzer Fußballtrainer Jürgen Klopp, der sie wie eine alte Freundin behandelt und ihr zu ihren guten Spielen gratuliert, reichlich konstruiert, obwohl es dies in der Praxi s nicht war. Der Eindruck, dass diese Szene sehr gestellt wurde und viele Äußerungen eher nach Drehbuch ablaufen, lässt sich aber nicht unterdrücken.

    So ist „Fußballgöttinnen“ leider keine „Perle“ geworden, sondern ein Film, der zwar viel Licht aber auch viel Schatten hat. Die interessante Ausgangsidee, vier verschiedene Frauen in vier verschiedenen Bereichen des Sports Fußball, so wie in ihrem Privatleben zu porträtieren wird nur bedingt gelungen umgesetzt. Bei Platzwart Trautchen spielt ihre Verbindung zum Fußball kaum eine Rolle, bei Kickerin Viola fällt das Privatleben fast völlig raus. Die Episode rund um Fan Bettina ist uninteressant und man freut sich bei ihr auf jeden Schnitt zu einem der anderen Protagonistin. Nur das Portrait der jungen Beatrix vermag zufrieden zu stellen, zeigt dadurch aber auch, wie viel mehr Potential in der Thematik steckt, aber nicht herausgeholt wurde.

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