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    The Flying Scotsman
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    The Flying Scotsman
    Von Jonas Reinartz

    „Es war ein Top-oder-Flop-Moment. Ich musste es tun. Das Ganze war zur Obsession geworden. Als ich wieder in der Bahn war, sah ich nichts als die Bahn vor mir, nichts als die schwarze Linie, die es zu überqueren galt. Ich legte einfach los.“ (Graeme Obree über seinen zweiten Weltrekordversuch in Hamar)

    Jonny Lee Miller gehört nicht unbedingt zu den Akteuren, die unzähligen Kinogängern bestens geläufig sind. Sein Part als Sick Boy in Danny Boyles 90er-Jahre-Kultfilm Trainspotting und die Tatsache, dass er Angelina Jolies erster Ehemann wurde, dürften hierzulande noch am ehesten bekannt sein. Auch wenn ihm vielleicht ein wenig die absoluten Star-Qualitäten abgehen, so macht er doch stets eine gute Figur, selbst in einem missratenen Werk wie Renny Harlins Mindhunters (2004). Nun kommt er mit dem Sportfilm „Flying Scotsman“ in die Kinos, der die beeindruckende Geschichte des Radsportlers Graeme Obree erzählt, der in seiner Karriere allerlei Höhen und Tiefen erlebte. Gegen seine inneren Dämonen und intrigante Sportfunktionäre des internationalen Radsportverbandes UCI gelangen ihm unglaublich klingende Triumphe. Das Kinodebüt von TV-Regisseur Douglas McKinnon, nach zwölf Jahren in der Entwicklungshölle endlich realisiert, gefällt durch eine sorgfältige, unaufgeregte Inszenierung und gute Schauspielleistungen, auch wenn ein sonderlich erinnerungswürdiges Leinwanderlebnis hier nicht entstand, dafür wird die Lebensgeschichte des Helden zu schnell abgespult, zudem fehlt es an psychologischen Nuancen. Sportfans und wissbegierige Zuschauer, die zuvor über den ambitionierten schottischen Nationalhelden nicht das Geringste wussten, werden dennoch nicht enttäuscht werden.

    Schottland in den 70er Jahren: An seiner Schule ist Graeme Obree (Sean Brown) ein großer Außenseiter. Er ist klein und schmächtig, singt im Schulchor, zudem ist sein Vater ausgerechnet Polizist – da ist Ärger vorprogrammiert. Regelmäßig wird eine verschworene Gruppe seiner Mitschüler handgreiflich. Um ihn aufzubauen, schenken ihm seine Eltern zu Weihnachten ein Fahrrad. Nun kann er endlich seinen Verfolgern entkommen. Doch auch der erwachsene Obree (Johnny Lee Miller) hat es nicht leicht, denn sein eigenes Fahrradgeschäft macht mangels Kundschaft zu. Folglich muss er sich als Fahrradkurier verdingen, um zusammen mit seiner Frau Anna (Laura Fraser), die als Krankenschwester arbeitet und bald ein Kind erwartet, über die Runden zu kommen. Nebenbei fährt er zwar erfolgreich bei lokalen Straßenrennen, Geld bringen diese allerdings nicht ein. Auf einer Radtour mit seinem Freund Malky (Billy Boyd) entdeckt er plötzlich eine neue Körperhaltung, die erheblich höhere Geschwindigkeiten erlaubt. In der Werkstatt des verwitweten Priesters Baxter (Brian Cox) beginnt er nun, mittels bizarrer Materialien ein eigenes Gefährt zusammenzubasteln, mit dem Ziel, in acht Wochen in Hamar, Norwegen, den Stundenweltrekord im Bahnradfahren zu schlagen, der seit neun Jahren von dem Italiener Francesco Moser gehalten wird. Zwischenzeitlich trüben jedoch immer Depressionen, die auf seine schwere Kindheit zurückzuführen sind, das Vorankommen. Der auf einem Nachbau seines Rads unternommene erste Versuch den Rekord zu schlagen, misslingt prompt, aber der ehrgeizige Schotte gibt nicht auf. Auf seinem selbstgebauten Rad, „Old Faithful“ genannt, wagt er einen erneuten Versuch und schafft das scheinbar Unmögliche…

    Ähnlich wie seinem Protagonisten war auch dem Drehbuchautoren Simon Rose eine Berg-und Talfahrt beschieden. Nachdem er zunächst geglaubt hatte, in der Produktionsfirma Metrodome einen geeigneten Partner gefunden zu haben, nahm er bald von ihr Abstand, da sich ein halbes Jahr nichts getan hatte. Danach fand er einen schottischen Produzenten, der passenderweise ein ausgesprochener Radsport-Fan war, doch bald kam es zwischen den beiden aufgrund kreativer Differenzen zum Zerwürfnis. Andere Autoren wurden herangezogen, um das Drehbuch zu überarbeiten, Rose war am Boden zerstört. Er begann die Arbeit an anderen Projekten, sein Herz schlug jedoch immer noch für „Flying Scotsman“. 2001 sollte dann tatsächlich der Dreh stattfinden – der Tod eines wichtigen Investors und die finanzielle Misere des Produzenten machten den Plänen allerdings bald einen Strich durch die Rechnung. Vier Jahre später kam es schließlich doch noch zu einer Realisierung. In nur 32 Tagen entstand der Film an Drehorten in Schottland und Deutschland, wobei die nächste Krise schon wieder nach kurzer Verschnaufpause anstand. In der Post-Production musste die Produktionsfirma Konkurs anmelden, die Schauspieler und die technische Crew warteten immer noch auf ihr Geld. Einzig die Unterstützung eines Gläubigers, der realisiert hatte, dass nur so eine Chance auf Rückzahlung bestand, bewirkte die Komplettierung. Voll und ganz eine Entstehungsgeschichte, die dem Sujet entspricht; trotz aller Turbulenzen ist das Ergebnis aber technisch einwandfrei geworden. Die Bilder von Kameramann Gavin Finney sind sehr stimmungsvoll geraten und Schottlands Landschaft tut ihr Übriges.

    In der Titelrolle wirkt Jonny Lee Miller stets glaubhaft, sein Spiel zeichnet eine wohltuende Zurückhaltung aus, auch die Darstellung von Obrees Depression gelingt ihm einfühlsam. Billy Boyd, bekannt aus der Herr der Ringe – Trilogie von Peter Jackson gibt erneut gekonnt den quirligen Kumpel. Ohne Zweifel die interessanteste Nebenfigur ist der von Brian Cox (The Ring, Zodiac, Match Point) porträtierte Priester Douglas Baxter, übrigens eine Erfindung der Autoren, da aus Gründen der leinwandtauglichen Dramaturgie noch eine Art Mentor benötigt wurde. Dennoch wirkt die Figur nie schematisch, nicht zuletzt dank Cox’ überzeugender Darstellung. Er lässt die bittersüße Resignation eines Mannes spüren, der die Liebe seines Lebens verloren hat, die Lust auf das Leben jedoch nicht. Erwähnenswert ist ebenfalls Steven Berkoff als deutscher Funktionär. In der Originalfassung ist zwar deutlich sein bemühter bayerischer Akzent als unecht zu entlarven, Aussehen und Gebaren entsprechen aber genau den Klischees über deutsche Bürokraten und Erbsenzähler. Gerade als deutscher Zuschauer kann man sich da ein Lachen nicht verkneifen. Ein Besuch der Originalfassung empfiehlt sich generell, die schottischen Akzente klingen recht charmant und sorgen zusätzlich für Authenzität. Vor- und Nachteil in gleichem Maß ist die kurze Laufzeit von lediglich 96 Minuten. Zum einen vermeidet der straff erzählte Plot Längen, zum anderen lässt gerade diese Methode einen gewissen Tiefgang vermissen. So löblich es ist, dass Obrees Depressionen Erwähnung finden und nicht der Kommerzialität zum Opfer fallen, ihre Darstellung fällt zu simpel aus. Eher scheinen sie hier vor allem eher dramaturgischer Natur zu sein, damit genug Motivation für die nächste sportliche Herausforderung gegeben ist.

    Sportfilme, zumal auf Tatsachen basierend, gibt es wie Sand am Meer. „Flying Scotsman“ ist kein herausragendes Beispiel dieser Gattung, ein schlechtes allerdings auch nicht. Ein trotziger Charme geht von dieser unterhaltsamen kleinen Produktion aus, die sich wider alle Widerstände durchgesetzt hat und damit ihrem Titelhelden unfreiwillig angenähert hat. Richtig greifbar und ausgeleuchtet wird dieser leider nicht. Die Tatsache, dass nach Rocky Balboa und Unbesiegbar der Bedarf des Kinojahrs 2007 an „inspirierenden“ Underdog-Stories bereits gedeckt ist, lässt sich allerdings nicht ignorieren. Da wird der schottische Held vermutlich nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufen. Verdient hätte er Besseres.

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