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    KussKuss
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    KussKuss
    Von Christoph Petersen

    Gerade sind in Deutschland wieder die Diskussionen um Einbürgerungstests und Fragebögen hoch gekocht, was abgesehen davon, dass auch kaum ein Ureinwohner aus dem Stehgreif drei deutsche Mittelgebirge nennen kann, wieder einmal beweist, dass Asylbewerber sich noch immer mit den gleichen Klischees konfrontiert sehen und wir noch immer Zuwanderer konsequent unterschätzen. Immerhin bedeutet solch ein Test nur, dass die Bewerber hundertzwanzig Fragen auswendig lernen müssen: So kann man vielleicht die besonders Dummen, aber nicht die Grundgesetzgegner aussortieren. Mit einer ganz ähnlichen Thematik setzt sich auch Sören Senn in seinem ersten Langfilm, dem politischen Beziehungs-Drama „KussKuss“, auf äußerst amüsante, gleichzeitig aber auch sehr feinfühlige und kritische Weise auseinander.

    Als Katja (Carina Wiese) bei ihrer Arbeit in einem Krankenhaus, wo sie als Ärztin tätig ist, die junge, sich illegal in Deutschland aufhaltende Algerierin Saida (Saida Jawad) findet, sieht sie ihre Stunde für eine gute Tat gekommen: Sie nimmt die vom Bürgerkrieg traumatisierte Frau mit nach Hause und startet die ersten Versuche, irgendwo an einen gefälschten Ausweis ranzukommen, um Saida nach Schweden, wo diese Verwandte hat, schicken zu können. Als diese jedoch fehlschlagen, muss Katja sich etwas Neues ausdenken: Sie plant, Saida mit ihrem eigenen Freund Hendrik (Axel Schrick), einem humanistischen Geisteswissenschaftler, schein zu verheiraten. Doch Hendrik und Saida sind sich in der Zwischenzeit schon viel näher gekommen, als Katja ahnt…

    Schon beim allerersten Abendessen, nachdem Katja Saida mit nach Hause gebracht hat, knallen Kulturen, aufgestaute Emotionen und die Geschlechter auf ungeheuer amüsante, aber deshalb nicht minder dramatische Art und Weise aufeinander. Dabei fällt besonders positiv auf, dass Drehbuchautorin Katrin Milhahn sowohl ein gutes Gespür für Beziehungsprobleme auf der einen als auch deutsche Vorurteile und Befindlichkeiten auf der anderen Seite beweist. Ihre Dialoge, die sich nur auf die Liebe und die Streitereien zwischen Katja und Hendrik beziehen, sind genau so geschliffen-präzise wie ihre politischen Anspielungen: Hendrik zu Saida: „Mit Allah ist das doch so, der darf das doch nur nicht sehen. Hier, ich mache die Vorhänge zu, jetzt kannst Du in Ruhe einen zwitschern.“

    Haste schon mal gehört: Algerien! Wenn man an dem durchweg gelungenen Gesamtwerk „KussKuss“ eine besondere Glanzleistung herausstellen müsste, wäre es wohl die unheimlich mutige (weil nicht immer sympathische) und ungewöhnlich differenzierte Charakterisierung von Katja. Für sie bedeutet Algerien einfach nur Foltern und Vergewaltigen, die Menschen dahinter bleiben ihr völlig fremd. Als sie sich entscheidet, Saida zu helfen und dabei in völlig übertriebenen Aktionismus verfällt, tut sie dies im Endeffekt nur, um aus ihrem eigenen, festgefahrenen Leben auszubrechen. Dass Saida für sie mehr ein Projekt als ein hilfebedürftiger Mensch ist, sieht man auch daran, dass sie ihr wie einer Puppe neue Kleider kauft, ohne ihre Kultur dabei im Geringsten zu beachten. Der Versuch, einen Film von einer solch fragwürdigen Figur tragen zu lassen, ist nicht nur ziemlich spannend, er ist auch geglückt. Weil sich jeder ein wenig in Katja wieder erkennen kann, niemand komplett ohne Vorurteile ist, verzeiht der Zuschauer ihr sofort.

    Besonders aufregend an „KussKuss“ ist auch seine Uneindeutigkeit: Nie wird einem der drei Protagonisten irgendeine Schuld zugewiesen, die Sympathien und Antipathien des Zuschauers wechseln vielmehr im Minutentakt hin und her. Katja will ja eigentlich nur das Beste, tritt dabei aber doch recht arrogant auf, wenn sie aber von Hendrik betrogen wird, fliegen ihr die Herzen des Publikums sofort wieder zu. Hendrik wiederum hat eigentlich alles Verständnis der Welt, wenn er sich zunächst von seiner beherrschenden Frau abwendet, zum Schluss aber, wenn er sich von Saida beinahe ein zweites Mal verführen lässt, ist man zumindest kurzzeitig doch gegen ihn. Und am interessantesten ist sowieso Saida: Zunächst sieht der Zuschauer sie ähnlich wie Katja als reines Opfer, mit der Zeit und durch den einen oder anderen zweideutigen Blick sieht man sie dann irgendwann sogar als intrigantes Luder - die Wahrheit bleibt bis zum Schluss offen, liegt aber wie sooft wohl irgendwo in der Mitte. Im Endeffekt schließt man alle drei Figuren trotz all ihren Schwächen in sein Herz, wodurch sich für den Kinobesucher ein spannendes Gefühlschaos ergibt, weil er selber nicht weiß, welches Ende er sich nun eigentlich wünscht – zumindest das, das Senn schließlich für seinen Film gewählt hat, ist in seiner Wagheit unglaublich mutig und sehr passend.

    Wie Regisseur Sören Senn es schafft, treffsichere, urkomische politische Satire in sein ernsthaftes Beziehungsdrama zu verstricken, ohne dabei jemals aus dem Rahmen zu fallen, ist schon an sich eine Meisterleistung. Aber auch sonst kann die Inszenierung, der man das geringe Budget nie anmerkt, stets überzeugen. Trotzdem würde das Fazit „klein aber fein“ dem Film nicht gerecht werden, er ist einfach noch eine Menge mehr: „KussKuss“ ist hochintelligentes, angenehm humorvolles, sehr politisches und unendlich sympathisches Kino – die deutsche Filmszene ist nämlich nicht wie so oft behauptet am Ende, man muss sich einfach nur die Mühe machen und etwas länger nach den großen kleinen Kino-Perlen suchen.

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